2021

Kindliche Ängste im Alter von 1-3 Jahren

Annäherungen an gelebte Wirklichkeiten kindlicher Angst

„Angst klopft an, Vertrauen macht auf, keiner ist da!“

Gelingt es uns Erwachsenen einen Vertrauensraum für das einzelne uns anvertraute Kind zu halten, fühlt es sich sicher und aufgehoben. Zu diesem Vertrauensraum gehört, dem Kind seine Reife- und Entwicklungsphasen zu lassen, für es da zu sein, es zu halten, wenn es uns braucht, wenn es mit sich selbst, seinen Bedürfnissen, seinen Stimmungen kämpft und versucht, sich als kleiner Organismus im Gleichgewicht zu halten. Es braucht auch, dass wir liebende Blicke auf es richten und es damit in seinem Da-Sein bestätigen, um es von dorther mit Mitgefühl und Zuversicht zu berühren und ihm Mut zuzusprechen. Denn jedes gewagte Leben braucht von Anbeginn auch das, was wir Mut nennen. Jeder Schritt ins Leben braucht ein Sichtrauen, ein Darauf-zugehen und ein Sich-zutrauen, damit wir es bestehen können. Deshalb möchte ich diesen kleinen Aufsatz über Kinderängste mit der Frage nach unseren Qualitäten zum Thema Vertrauen beginnen.

I. Einstieg über das Thema Vertrauen

Wie fühlt sich Vertrauen in mir an?

Woran erkenne ich, dass ich im Vertrauen bin oder nicht? Wie fühlt sich das im eigenen Körper an? - Nur, wenn ich das weiß und Erfahrungen damit gemacht habe, kann mein Körper Seismograph für mich und das mir anvertraute Kind sein, im Hinblick auf die Qualität von Vertrauensbildung und von Vertrauensräumen.
Vertrauen hat mit gefühlter Entspannung, mit gefühlter Freude zu tun und damit, dass ich mich gehalten und zuhause fühle, dass ich mich verbunden, „in Verbindung“, fühle, dass ich mir zutraue das Leben, den nächsten Schritt, zu meistern. Wenn ich nicht im Vertrauen bin, fühle ich mich erfüllt von Ängsten und Sorgen, ziehe mich zurück, igele mich ein und verenge so meinen eigenen Raum, entstehen in mir zukunftsbezogene Zweifel, wehre ich mich dagegen, dass alte Schmerzen sich wiederbeleben können, empfinde ich das Leben als anstrengend, mühsam, es geht nicht mehr von allein, ich muss alles „mit dem Willen zusammenhalten“.

Das ungeborene Kind empfindet den Mutterleib in der Regel als einen hinreichend guten und ausreichenden Lebens- und Vertrauensraum.

Ausschließlich das stetige Wachstum macht es notwendig, die vertraute Welt gegen eine gefühlte „Nicht-Welt“ einzutauschen. Eine Welt von der das Ungeborene noch gar nicht weiß, ob es darin existieren kann.
Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das in der Lage ist, mit Bewusstsein das Hinausgestoßen werden in eine fremde Welt zu verwandeln in ein erneutes Vertraut sein und verbeheimatet werden. In den primärsphärischen, feinstofflichen Zwischenräumen von sich entwickelnder Mutter-Kind-Beziehung gestaltet sich ein Miteinander heraus, das für beide Seiten mehr als erträglich ist, wenn es gut läuft. Auf dieser Basis kann sich neues Vertrauen bilden und Lebensbejahung zur Grundlage werden oder eben auch das Gegenteil geschehen.

Evolutionsgeschichtliche Hintergründe

Sowohl in der Tierwelt als auch in der Menschenwelt hat es sich in der Vergangenheit als nützlich erwiesen, in Tuchfühlung mit dem Nachwuchs zu bleiben und sich auch in der Nähe der „Herde“ aufzuhalten, um sich darin unsichtbar zu machen und sich damit einem möglichen „Bedroher“ zu entziehen. Kein Wunder also, dass sich Mütter und Väter oftmals schwer tun, ihre Kinder in fremde Hände zu geben…. Sie wollen wissen: „Auf welcher Wertegrundlage arbeitet die Krippe? Sind die Mitarbeiter authentisch? Würden Sie mich im Zweifelsfalle über Vorfälle unter- richten? Kann ich mich auf Sie verlassen? Können Sie es wertschätzen, dass ich aus der zweiten Reihe meine Elternverantwortung wahrnehme und Verbindung halte, zu dem, was in der Krippe geschieht und wie mein Kind das verarbeitet?“

Die Krippe als Vorübungsraum zur Einfädelung in die Gesellschaftskultur mit ihren Abläufen, Ansprüchen und Herausforderungen

Hat sich im familiären, primärsphärischen Erarbeiten von tragenden Beziehungen, im Vorausahnen von akzeptablen Beziehungsantworten, die Verstandensein zur Folge haben, erst einmal Vertrauen als verlässliche Grundhaltung etabliert, ist ein guter Humus dafür geschaffen, sich von der vertraut gewordenen „Zweit-Welt“ wieder in eine neue „Noch-Nicht-Welt“ hinein zu wagen, nämlich die Kinderkrippe. Aufgabe der Erzieher und des Kindes ist es nun, die intimsphärischen Erfahrungen auf den größeren Zusammenhang der Kinderkrippe übertragen zu lernen, so dass auch dort wieder und erneut ein Boden von Vertrauen sich bilden und wachsen kann…. Am Ende der Krippenzeit könnte so ein dem Alter gemäßes, selbstbewusstes Kind stehen, das seinen Platz in der Krippe, im Kreise der anderen Kinder, gefunden hat - und dem es auch gelungen ist, sich den Wohlfühl- und Werterahmen der Krippe zu eigen zu machen und diesen damit auch auf selbstverständliche Weise in die Zukunft des nächsten Tages hinein mit vorauszudenken und damit den Rahmen insgesamt mitzutragen.

Krippenkinder wollen nicht verwaltet werden, sondern gehalten sein, begleitet, angeregt, beruhigt und verstanden werden. Sie brauchen Trost und Verständnis für das frühe Verlassen der Sicherheit gebenden Bindung, die sie mit der Mutter, even- tuell auch mit dem Vater eingegangen sind. Sie wollen in ihrem Wesen, ja in Ihrem grundlegenden Sein, gespiegelt und bestätigt werden und damit sich selbst als etwas aus sich heraus Bestehendes erfahren, auch dann, wenn sie diskontinuierliche Erfahrungen machen. Sie wollen sich ganz persönlich bezogen von Angesicht zu Angesicht, von Haut zu Haut verbeheimaten, ankommen in der Welt da draußen, außerhalb der Mutter und darin Halt finden, sich wohl und aufgehoben fühlen. Sie wollen mit dem Gegenüber klingen und sich immer wieder in einem gemeinsamen Ton einfinden, der sie über die Zeit hinaus trägt und das verursacht, was wir Vertrauen nennen. Sie wollen keinesfalls, wenn sie weder krabbeln noch laufen können in diese Noch-Nicht-Welt dort draußen außerhalb der Mutter hineingeworfen werden. Ja, es stimmt: In uns allen gibt es eine Kraft, die über das schon Vertraute hinaus, sich die Welt erschließen will und das Noch-Nicht-Vertraute in ein Vertrautes umwandeln will. Doch dafür braucht es den rechten Zeitpunkt, ein geduldiges großräumiges und warmherzig begleitetes Dorthin-Reifen durch eine nahestehende Bezugsperson, die mitfühlend diesen Übergang begleitet und solange zur Verfügung steht, bis diese neue Welt genügend kontinuierliche Vertrautheit ausstrahlt und sozusagen, das kleine Kind in dem neuen Milieu „trägt“.

Neben diesem ganz praktisch fühlbaren Beziehungsraum gibt es nun aber in jeder Einrichtung vordergründig den ordnungspolitisch wirkenden großen Raum, der auf verwaltungstechnischer Inhaltsebene basiert und der mit den Bedürfnissen des Kindes zunächst nur wenig zu tun hat. Der will und muss neue Strukturen schaffen, weil die alten Familienformen nicht mehr tragen und die gesellschaftliche Notwendig- keit besteht, dass Männer und Frauen nicht nur arbeiten können und dürfen, sondern möglichst auch sollten oder gar müssen. Wohin also können Kleinfamilien Ihren Nachwuchs abgeben, damit beide Eltern arbeitsfähig werden bzw. sind? Jedem Kind einen Krippenplatz, ist ein Apell, der aus dem ordnungspolitischen Strukturansatz gesprochen wird und in Unterbringungsräumen denkt, ohne die emotionale und soziale Färbung dabei klingend mitzutransportieren. Er setzt einen Personalschlüssel fest, von dem jede/r weiß, dass er sich nie erfüllt, denn ständig sind Kolleginnen im Urlaub, krank oder auf Fortbildung. 20-25% des vorgegebenen Schlüssels glänzen meist - vollkommen ohne eigenes Verschulden - durch Abwesenheit.

Der ordnungspolitisch vorgegebene Raum bestimmt im schlechtesten Fall eine Bezugsbetreuerin, die 4 Wochen später Urlaub hat oder krank geschrieben ist und das Kind in einem „Un-Raum“ zurücklässt, der nicht wirklich aufgefangen werden kann, jedenfalls nicht, ohne, dass das Kind innerlich ins Schwimmen gerät und den Boden unter den Füßen verliert, der sowieso noch nicht richtig trägt…

In der Mikrosphärologie des Kleinräumig-Familialen ging/geht es jedoch um die zartwandigen Kleinwelten, die mit Mutter-Kind-Verbundenheit, Paarverbundenheit, symbiotischer Partizipation und intimer Resonanz zu tun haben. Sie sind als erfüllte Rundungen und schwangere Räume vorzustellen und nicht als geometrische Formen und Ordnungsstrukturen. Solcherart positive Heimat- und Familiengefühle sind jedoch zu einer knappen Ressource geworden. Die Ausgangspunkte für positive, schöpferische Übertragungen familialer Erfahrung von Aufgehoben sein und vertrauensvoller Beziehung sind bereits kompromittiert, schon die Symbiosen sind kontaminiert, die familialen Schutzräume, die Vertrautheitsbiotope schrumpfen. Und wo diese fehlen, gibt es auch keine Grundlage bzw. Grunderfahrung von Bezogen- sein, das trägt. Wie soll das kleine Kind etwas ins Größere übersetzen, wenn es dasselbe im Kleineren nicht erlebt hat….?! Das macht Kindern Angst.

Zu mir kommen Mütter in Beratung, die noch bevor ihr Kind auf der Welt ist, bereits wissen, wann sie wieder arbeiten werden. Sie haben noch keine Erfahrung mit ihrem Kind, wissen noch nicht, wie es auf bestimmte Dinge reagiert, wann es blockiert, wann es sich freut und haben doch schon festgesetzt, wann die Brechung der gemeinsamen, als Kontinuität erlebten Dyade beginnt…. Sie haben eine erste große Diskontinuität bereits vorausgeplant.

Ich begleite Mütter, keine Einzelfälle übrigens, die die Zeit allein mit ihrem Kind nicht füllen können, die Angst haben vor diesem selbst zu gestaltenden Raum und die ihre Angst in die Sorge verschieben, sie könnten ihr Kind töten.

Oder Mütter, die keinen Platz haben für ein Kind in ihrem Leben und nicht verstehen, warum keines kommt, wo sie es sich doch so sehnlich wünschen.
Oder ich begleite Mütter, die 20 Jahre hoch identifiziert gearbeitet haben und die ohne Durchatmen und ohne inneres Loslassen dieses Lebensabschnitts in das Mutter werden hineinstolpern und die nicht selten 1-2 Jahre Erfahrung mit dem Kind benötigen, um zu bemerken, dass man mit einem Kind nicht nach Prinzipien der Arbeitswelt umgehen kann…
Verstehen Sie bitte diese Beispiele nicht als entwertende Kommentare, sondern als mitfühlende Beobachtungen, die auch mich immer wieder ratlos machen.

Wenn ein hinreichend gut gehaltenes Kind und eine hinreichend gute Mutter in einer hinreichend stützenden Welt eine nicht allzu gestörte Dyade bilden, in der sie sich persönlich entdecken und miteinander, sozusagen gemeinsam, entwickeln können, dann lässt sich hinreichend gut darauf bauen, dass die Dyade in eine nächsthöhere Ebene von Entwicklung führen kann und sich öffnen lernt für andere Menschen oder Menschengruppen und die gute Erfahrung aus der Dyade übertragen werden kann auf das neue Milieu. Im besten Fall gehen sie von hier aus auf die nächsthöhere Ebene und zeigen, wie das Ende der dyadischen Struktur in einem größeren Format „aufgehoben“ werden kann und dort auf seine Art seine Entsprechung im Sinne von Angstfreiheit und Sicherheit finden kann. Was ich zeigen will, ist, wie ein Neugebo- renes, dieser ehemalige Schützling seiner Placenta zum Symbionten seiner Mutter oder Pflegeperson wird, wie aus dem Säugling das Kleinkind in Resonanzen mit seiner kleinen Welt wird, wie dann durch Sozialisation die Teilhabe an einem größeren Kulturkörper (z.B. Krippe) und einem regionalen Territorium erworben wird. Es lohnt sich, die Grundlagen für das Zusammenhängen und Füreinander-Einstehen- Können von Menschen in einem gemeinsamen Werte- und Empfindungsraum zu durchdenken. Wie organisiert das Leben seine (gesellschaftliche) Kontinuität in größere Beziehungsräume hinein, ohne dass die Qualitäten des primärsphärischen verloren gehen? Gehen sie verloren, entsteht Existenz- und Vernichtungsangst.

Wer über Kinderängste von Kleinkindern im Krippenalter reden will, kann das also unmöglich tun, ohne den Bezugsrahmen zu betrachten. Aus der Praxis weiß ich einfach, dass eine Unterbringung in der Krippe nicht das Gleiche sein kann, wie die verlässliche Nähe der Mutter/des Vaters. Auch wenn sie durchaus zu einem Hort der Geborgenheit und der Freude werden kann. Diese These möchte ich gerne an einigen Beispielen untermauern.

III. Beschreibungen aus der Praxis

Eine Kindheitspädagogin, die in einer Kinderkrippe in Freiburg arbeitet und Kinder von einem halben Jahr bis zu eineinhalb Jahren betreut, hat es einmal so beschrieben: „Eine Mutter denkt ihr Kind in ihr ganzes Leben hinein. Das Kind ist - bewusst gedacht oder auch nur unbewusst dazu gestellt - in ihrer ganzen vorausgedachten und vorausgeträumten Lebenslandkarte immer mit dabei, ob gerne oder ungerne spielt dabei eine Rolle, aber zunächst eine untergeordnete. Ich als Erzieherin liebe natürlich die kleinen Wesen, ich weiß aber ganz genau, in einem Jahr muss ich sie wieder abgeben, muss mich von ihnen wieder verabschieden. Natürlich lasse ich mich auf sie ein, aber ich bin auch vorsichtig, habe meine inneren Grenzen, weil ich die Kinder ja bald wieder loslassen muss und dann auch ohne sie im Guten weiterleben will.“ Mehrere ihrer Kolleginnen ermahnten sie immer wieder, sie solle die Kinder (die Babys) nicht zu sehr verwöhnen.
Eine andere Fachkollegin schilderte mir einmal den Ablauf einer Eingewöhnung: „Eine Kollegin übernahm 14 Tage die Eingewöhnung eines „neuen Kindes“, die auch gut verlief. Mutter und Kind fassten Vertrauen, wiederkehrende Rituale und Beziehungsangebote führten zu einer ersten Verbeheimatung und wurden in ein erstes Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit umgewandelt, der erste Sprung war geschafft - und dann nahm die Bezugserzieherin ihren dreiwöchigen Jahresurlaub.“

Jede herzenskluge Erzieherin wird sagen, das geht gar nicht, trotzdem kommt so etwas vor. Und nehmen wir einmal an, es handelt sich nicht um Urlaub, sondern um Krankheit, dann ist ein solches Erlebnis nicht vermeidbar. Eine Mutter jedoch ist für ihr Kind immer da, auch wenn sie krank ist. Was will ich mit meinen Ausführungen ausdrücken? Keinesfalls, dass Einrichtungen schlecht sind, aber schon, dass es Einrichtungen sind und dass die Einrichtung dem Kind einen ganz bestimmten Rahmen zur Verfügung stellt. Und wie wichtig es ist, die Eltern in ihrer Rolle, wo es geht, zu stärken und zu unterstützen, denn wir können ihre elterliche Aufgabe in der Krippe nicht in dieser Ganzheit und Vollständigkeit übernehmen. Das gibt dem Kind ein Gefühl von Sicherheit.

In einer anderen Gemeinde bekam ich mit, wie gründlich und sorgfältig die Eingewöhnung vorbereitet wurde und wie gut sie gelang. In der gleichen Gemeinde gab es allerdings eine Garantie auf einen Platz über das ganze Jahr. Wenn also eine Einrichtung für einige Zeit zumachte, wurden die Kinder auf andere Einrichtungen verteilt. Einjährige Kinder oder noch jüngere, sahen sich so ohne Vorbereitung plötzlich einer völlig fremden Umgebung und fremden Menschen ausgesetzt. Eine wache Kollegin stellte daraufhin fest, dass es sogar Kinder gibt, die das ganze Jahr gebracht werden ohne Verschnaufpause und sie appellierte an den Träger, ebenso jedem Kind, so wie es jedem Erwachsenen auch zusteht, einmal für drei oder vier Wochen im Jahr Urlaub von der Einrichtung zu verschreiben. Keine Verschnaufpause zu haben, nimmt die Möglichkeit, sich zu erholen, führt zu Stress und schafft so einen Boden für Ängste.

Mit Erzieherinnen von vier Krippeneinrichtungen habe ich einen Fortbildungs- tag zum Thema Kinderängste bei Kleinkindern gestaltet. Da gab es einige, die glaubten, eine Erzieherin dürfe die Kinder weder auf den Schoß nehmen, noch sich von ihnen küssen lassen, weil sie damit in Konkurrenz zur Rolle der Mutter gehen. Außerdem wollten sie nicht in die Gefahr geraten, dass man ihnen Missbräuchlichkeit im Umgang mit den Kindern unterstellen könnte. Sie hatten ganz eindeutig Angst vor den Gefühlen und Reaktionen der Eltern und der Öffentlichkeit. Wir hatten eine heftige Diskussion darüber, was für Bedürf- nisse Kleinkinder haben und auch darüber, inwieweit sie schon die Welt mit erwachsenen Augen sehen können. Ich klärte darüber auf, dass Kleinkinder nicht zwischen öffentlichem und privatem/familiären Raum unterscheiden können und dass sie dort, wo sie sich vertraut und aufgehoben fühlen, sich einfach anvertrauen und sich das holen und sich mit dem verbinden, was ihr Bedürfnis ist. Natürlich wird dadurch eine Person, die den ganzen Tag Bezugsperson für sie ist, zu einer besonderen Person, die vielleicht sogar in manchen Fällen als näher und vertrauter als die Mutter erlebt wird. In einer anderen Einrichtung kam man auf die Idee, eine Bezugsbetreuung erst gar nicht aufzubauen, damit es die Kolleginnen nicht so schwer haben, wenn die Bezugsbetreuung krank werden sollte. Hier wurde das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Etwas für das Kind reifungsnotwendiges wurde unter- bunden, um sich selbst Arbeit zu ersparen. Menschlich nachvollziehbar, vom Kind her betrachtet sicher zu kurz gedacht.

In einer großen Kindertagesstätte, die ich über längere Zeit als Supervisor begleitete, gab es eine offene Gruppe von 1- 6 jährigen Kindern. Für diese Gruppe waren eigentlich 8 Fachkräfte vorgesehen. Über einen nicht kleinen, sondern fast schon erschreckend alltäglichen Zeitraum durfte ich begleiten, wie eine auf 3 Erzieherinnen geschrumpfte Gruppe versuchte, den Rahmen und den Raum für die Kinder zu halten. In persönlichen Teamgesprächen drückten die Mitarbeiterinnen ihre Verzweiflung aus. Der Spagat, zwischen Wirklichkeit und Wunschbild ist zu weit auseinandergeraten. Sie bezeich- neten das, was sie leisteten als unbefriedigende Notversorgung, für die Sie Ihren Beruf nicht gelernt hätten. Sie kämen gar nicht zu dem, was Ihnen an ihrem Beruf Spaß machen würde.

Warum all diese Situationsbeschreibungen?

Je kindfremder wir uns als begleitende Bezugspersonen oder als Einrichtung, die Rahmenbedingungen vorhält, verhalten, desto verunsicherter, unglücklicher und ängstlicher ist ein Kind und drückt das auch aus, ganz direkt durch Weinen oder indirekt durch entstehende Beziehungsstörungen, die dazu führen, dass sich das Kind nicht mehr führen lässt, nicht mehr erreichbar für uns ist, sich verschließt, uns nicht mehr vertraut usw.. Deshalb ist es mir wichtig, den Bogen in diesem Aufsatz über Kinderängste weit zu spannen.

Wurzeln kindlicher Angst sind meiner Erfahrung nach: Situativ durch Bedrohung ausgelöste Ängste, entwicklungsbedingte Ängste, erziehungsbedingte Ängste, Imitationsängste (durch die Eltern o.a. übertragene Angstverhaltensweisen), menschheitsgeschichtlich bedingte Ängste, durch Erfahrung bedingte Ängste, sowie Beziehungsstörungen.
Kleine Kinder haben z.B. Angst vor dem Alleinsein, dem Verlassen-werden oder vor dem Auf-sich-allein-gestellt-sein, vor Ablehnung und Liebesentzug, davor, dass die Mutter nicht wieder kommt, dass sie verloren gehen, vor Bindungsverunsicherung, vor Dunkelheit und Einschlafen, vor Albträumen, vor bestimmten Geräuschen, vor Beschämung, vor Gewitter, vor Trennung oder Verlust der eigenen Eltern, vor Überforderung, den eigenen Körper betreffend, vor aufgeladenen Stimmungen in ihrer Nähe (z.B.: Stress oder Streit), vor Ereignissen, die ihren kontinuierlichen Alltag überrollen oder vor allzu großen Überraschungen. Ängste sind immer ein Ausdruck dafür, dass etwas hereinbricht von innen oder von außen, das keine Sicherheit ausstrahlt, beunruhigt und Aufwände macht, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.

Wir können anhand der beschriebenen Beispiele erkennen, die Institution als solche, in der Sie arbeiten, ist nicht per se gleich ein Vertrauensraum, sondern zunächst und vor allen Dingen ein Regelungsraum. Transparenz ist deshalb ganz wichtig, damit Eltern spürbar be-greifen können, dass in Ihrer Einrichtung nicht verwaltet wird, sondern Kindern hinterher gespürt wird.
Alle Eltern wissen, dass man unter Stress manchmal Dinge tut, ausspricht, für die man sich hinterher ohrfeigen könnte und die überhaupt nicht mit den Werten übereinstimmen, die wir leben wollen. Natürlich erwarten Eltern von Erzieherinnen eine gewisse Professionalität, aber sie wissen auch, dass die nicht davor schützt, Fehler zu machen. Je offener sie die Prozesse in der Kinderkrippe machen, je mehr sie die Eltern daran teilhaben lassen, um welche Themen sie in der Krippe gerade ringen, desto mehr vertrauen sie ihnen. Wer teilhaben kann, kann mitdenken und sich mit einbringen und er kann begleitende Mitverantwortung tragen. Wollen wir das nicht alle, dass das unsere Eltern tun? Nur so weit wie Eltern ihre Angst verlieren und ihr Kind im Vertrauen überlassen können, nur soweit ist das Kind auch frei, keine elterlich bedingte Angst mehr in der Krippe haben zu müssen.

IV. Was könnte das für den Krippenalltag bedeuten?

Ich wünsche Ihnen und den Ihnen anvertrauten Kindern tiefe Herzensverbindung beim Bewältigen der kindlichen Ängste. Das wichtigste im Leben sind die Verbindungen der Menschen zueinander und miteinander auf Augenhöhe. In Beziehung miteinander treten - sich verbinden mit anderen Menschen, ist für Kinder lebensnotwendig und ein tiefer Wunsch, nur so können sie sich sicher fühlen.

Ein Tag übrigens, der unter dem Motto steht, „Heute ist ein schöner Tag“ strahlt Freude und nicht Angst aus. Er beginnt mit einem Lächeln, mit einer freundlichen Begrüßung, damit, sich gegenseitig wahrzunehmen, sich anzuschauen, den Blick zu erwidern, sich gesehen zu fühlen, Nähe zu spüren und ein paar Worte miteinander zu sprechen. Da wo ich mein Herz öffne, öffne ich die Herzen der Menschen, da findet Begegnung und Kommunikation statt, da fließen die Menschen miteinander, ist es nicht so? Kommunikation lässt sich auf das lateinische Verb ‚communicare‘ zurückführen und bedeutet „teilen, mitteilen, teilnehmen lassen; gemeinsam machen, vereinigen“. Kommunikation bezeichnet also den Austausch zunächst einmal von Energiefeldern und dann erst in zweiter Linie von Informationen zwischen zwei oder mehr Personen. Als elementare Notwendigkeit menschlicher Existenz und wichtigstes soziales Bindemittel findet Kommunikation über Augenkontakt, Berührung, Sprache, Mimik, Gestik, etc. statt.

Kommunikation braucht hohes Einfühlungsvermögen und Zeit, um Vertrauen aufzubauen, Zeit, um zuzuhören und natürlich eine angstfreie Atmosphäre. Wir Pädagoginnen können durch unsere Haltung, durch unsere Art der Beziehungsgestaltung, durch unsere Art des Da-Seins das Kind zum Sprechen einladen, so dass es die Sprache dafür einsetzen lernt, seine Gefühle, Empfindungen, seine Bedürfnisse und sein Erleben mitzuteilen und sich für sein Wollen auch sprachlich zu engagieren. Denn wer eigenes Erleben versprachlichen kann, kann es in gewisser Weise auch schon „hand-haben“, er ist nicht mehr nur darin verloren, sondern gewinnt Standvermögen auch über die Möglichkeit, davon und darüber sprechen zu können. Das mildert aufkommende Ängste.

Zum Ende des kleinen Aufsatzes hin möchte ich Sie einladen, einigen Selbstreflexionsfragen zu folgen und diese für sich zu beantworten im Hinblick vielleicht auf das letzte Gespräch, das Sie mit einem Kind führten:
Traten sie wirklich in Beziehung mit dem Kind? Waren sie interessiert an dem Befinden des Kindes? Wollten sie wirklich das Kind verstehen und etwas Neues herausfinden oder lernen? Haben sie sich im Kontakt ablenken lassen oder waren sie ganz bei dem Kind, das erzählt hat? Wie viel Freude hatten sie selbst beim Zuhören? Haben sie sich auf das Kind bezogen? Welche Mimik und Gestik hatten sie selbst? Welche Mimik und Gestik zeigte das Kind?

Wie Sie sicher aus jüngeren Studien wissen, gab es Untersuchungen in Kindertageseinrichtungen, in denen beobachtet wurde, wie oft Kinder direkt von Erzieherinnen angeschaut werden. Dabei wurde deutlich, dass es nicht wenige Kinder gab, die in 6 Wochen Beobachtungszeitraum nicht ein einziges Mal Augenkontakt mit einer Erzieherin hatten. Doch Augenkontakt ist Kommunikation schlechthin. Durch die Kommunikation mit dem Anderen findet der Mensch zu sich selbst und kommt dem Anderen näher – es ist das größte Geschenk wie Virginia Satire es formulierte:

„Ich glaube daran, dass das größte Geschenk, das ich von jemandem empfangen kann, ist, gesehen, gehört, verstanden und berührt zu werden.
Das größte Geschenk, das ich geben kann, ist, den anderen zu sehen, zu hören, zu verstehen und zu berühren. Wenn dies geschieht, entsteht Kontakt.“

Fehlt Kindern diese wichtige Erfahrung, fühlen sie sich unsicher, sind nicht entspannt, fühlen sich nicht gehalten und auch nicht beschützt. Sie fühlen sich, ohne, dass sie es schon benennen könnten, allein gelassen und sind erfüllt von Angst.

Literatur

Joachim Armbrust, Kinder bewältigen ihre Angst: So können Eltern helfen. Stuttgart 2008, Neuauflage: Warum Kinder Ängste haben - Kinderängste verstehen und bewältigen helfen. Urania/Herder, Freiburg 2013

Joachim Armbrust & Jasmin Hasslinger: Handbücher für die frühkindliche Bildung. Kinderängste bewältigen. Wie Erzieher/innen Kinder stärken können. Mit Bildkarten. Schubi Verlag 2010

Joachim Armbrust & Jasmin Hasslinger: Ängste erleben - Ängste bestehen. Aktivitäten zur Angstbewältigung. Schubi Verlag, 2012

Joachim Armbrust & Gudrun Noll, Besser leiten mit Vertrauen - Die Kita-Leitung als verlässliche Größe für Kinder, Eltern und Team; Carl Link Verlag, Köln, 2016

Joachim Armbrust, Melina Savvidis, Verena Schock: Konfliktfelder in der Kita, Vandenhoeck & Ruprecht, 2012

Joachim Armbrust, Siegbert Kießler-Wisbar & Wolfgang Schmalzried, Konfliktmanagement in der Kita – Verständigungsprozesse im Team gestalten; Carl Link Verlag, Köln, 2013, 2. Auflage, 1. Februar 2018

Jean A. Ayres: Bausteine der kindlichen Entwicklung, 2. Auflage, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992

John Bowlby: Frühe Bindung und kindliche Entwicklung, Ernst Reinhardt Verlag, München 1972

Ashley Montagu: Körperkontakt, 11. Auflage, Klett Cotta, Stuttgart 2004

Norbert Neuß (Hrsg.): Grundwissen Krippenpädagogik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Cornelsen, 2. Auflage 2012

Franz Renggli: Angst und Geborgenheit. Soziokulturelle Folgen der Mutter-Kind Beziehung im ersten Lebensjahr. Ergebnisse aus Verhaltensforschung, Psycho- analyse und Ethnologie. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 1976

Peter Sloterdijk, Hans-Jürgen Heinrichs: Die Sonne und der Tod. Dialogische Untersuchungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Erste Auflage, 2001

15. Februar 2021 / Joachim Armbrust / Kita-Leitung


Wie gelingt es der Kita-Leitung, atmosphärisch in ihrem Team selbstbestimmtes und kindorientiertes Arbeiten zu ermutigen?

Autor: Joachim Armbrust

Die Erzieherin ist mit ihrem Beruf eingebettet in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Das Arbeitsfeld der Erzieherin ist sehr komplex, auch wenn das in der Öffentlichkeit so nicht immer wahrgenommen wird. Sie agiert und vermittelt in einem Beziehungs- und Interessensgefüge zwischen natürlich an erster Stelle den Kindern und deren Eltern, aber auch den Interessen der jeweiligen Träger, verschiedener Ämter und Institutionen oder politischen Gruppierungen und Parteien. Erziehung ist immer auch eine politische Arbeit, die neben den Sachkenntnissen auch Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen erfordert. Entsprechende Anforderungen werden an die Kindertageseinrichtungen herangetragen, angefangen bei der bestmöglichen Förderung der Kinder bis hin zu Integrations- und Kompensationsaufgaben, die die Gesellschaft im Allgemeinen auf vielen Gebieten zu leisten hat. Wer sich nicht in Angst und Schuldgefühlen verlieren will, braucht Standvermögen, dafür wiederum braucht es eigene, innere Wurzeln und Werte, sowie tiefes Erfahrungswissen aus dem frau schöpfen kann. Das bringt eine Erzieherin nicht automatisch mit, wenn sie anfängt. Diese Qualität des fachlichen Eigen-Seins bildet sich im Laufe von Jahren.

Vorbild-Sein als Einstiegsangebot - vertiefende Überlegungen zum Thema aus pädagogisch-psychologischer Sicht

Ein tragfähiges Vorbild scheint etwas zu sein, was wir uns als sinnstiftendes Bild vor die Seele stellen und das als positives Modell in die noch nicht verwirklichte Zukunft hinein ausstrahlt und uns zur Entwicklung einlädt. Dabei handelt es sich um eine Person, die durch ihr Verhalten, ihre Haltung, ihr Können oder gar ihr Wesen etwas verkörpert, was in unserem inneren Entwicklungsraum, der auf Wachstum angelegt ist, Resonanz findet. Wir wollen das an ihr Wahrgenommene durch unsere Person selbst in die Welt bringen. Wir identifizieren uns dafür mit der Person und wählen sie bewusst als Modell aus für eigenes Handeln und Wirken. Dabei handelt es sich im ersten Schritt um einen Versuch der Nachahmung, der uns dann im Laufe der Zeit so selbstverständlich zu etwas Eigenem wird, dass wir das damit verbundene Handlungs- und Haltungsmodell letztendlich verinnerlichen und als in uns Verwirklichtes leben und empfinden. Natürlich ergänzen und korrigieren wir es um persönliche Aspekte.
Auf eine Leiterin in der Kita beziehen sich in der Regel alle Mitarbeiterinnen. Das liegt in der Natur der Aufgabe und so wird am eigenen Sein erfahren, wie sich das Handeln und die gelebten Werte der Leiterin, mit all ihren Fehlern und Widersprüchen, an uns selbst angewendet als fachlich Begleitete, anfühlt.
Siegmund Freud sah die Identifizierung mit einem Vorbild als einen psychodynamischen Prozess, der eine Angleichung des eigenen Ichs zu dem zum Vorbild genommenen Ich zum Ziel hat. Durch die Identifizierung mit der Leiterin, die in einem Konflikt mit Eltern einen guten Weg findet, kann die Erzieherin eigene, aus dem Konflikt resultierende, innerpsychische Spannungen lösen, die sich zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit Eltern und deren Bedürfnisse auf der einen Seite und dem zu gestaltenden Rahmen der Einrichtung auf der anderen Seite ergeben hatten.
Wenn professionelle Selbstaufmerksamkeit und kritische Urteilsfähigkeit wachsen und die Erzieherin viele Erfahrungen und Einsichten in dem sozialen Kontext Kita gewonnen hat, wird die Leiterin zunehmend realistischer wahrgenommen und das angewendete Vorbildhandeln relativiert sich wieder bzw. wird von der Erzieherin selbst in voller Eigenverantwortung nach bestem Wissen und Können unaufgefordert auf die ihr eigene Art umgesetzt. Auf dem Boden der vermittelten Grundlage, findet sie ihre eigene Berufsidentität.
Bei der Wahl eines Vorbildes spielen verschiedene Gesichtspunkte eine Rolle: unter anderem die wahrgenommene Ähnlichkeit zur Betrachterin (kann sich auch auf ähnlich gelagerte Lebenszusammenhänge, Werte, Haltungen, Handlungsoptionen, Ziele u. a. beziehen), der wahrgenommene Erfolg des Vorbildes und die Überzeugung der Betrachterin, dass sie die Ressourcen dafür hat, dem Vorbild auch nacheifern zu können. Die wahrgenommene, positive Wirksamkeit des Vorbildes führt über mehrere Schritte letztendlich zur Wahrnehmung eigener Selbstwirksamkeit.
Durch Beobachtung des Modells wird bereits vorhandenes Verhalten enthemmt bzw. gehemmt. Das Lernen am Vorbild spielt vor allem bei komplexen Verhaltenssequenzen eine wichtige Rolle – wie etwa beim Sozialverhalten (z. B. die Art der Begrüßung, das Ansprechen eines Konfliktes, die Mitteilung einer wichtigen Beobachtung, das Deutlichmachen einer Kita-eigenen Grenzsetzung, das Aufmerksam machen auf die Befindlichkeit eines Kindes usw.).
Dabei muss frau allerdings davon ausgehen, dass nicht grundsätzlich nur bewusst gewählte Vorbildoptionen eine Rolle spielen. Unbewusste oder nicht bewusste Entscheidungen im Hinblick auf zur Verfügung stehende Vorbildoptionen haben mit Sicherheit ebenfalls einen bedeutsamen Anteil am Lernen im Rahmen von Imitationsprozessen. Wenn die Leiterin mit Drohgebärden den freundlichen Umgang unter den Kindern einfordert, bleibt bei der beobachtenden Erzieherin vielleicht mehr die Drohgebärde als der Wunsch nach freundlichem Umgang in Erinnerung und wird somit zum unbewusst gewählten Handlungsmodell.

Vorbildhandeln mit Inhalten füllen - ein Versuch

Die Leitungsrolle lädt prinzipiell dazu ein, eine Machtrolle einzunehmen, das ist aber etwas anderes als Führung. Eigene, innere Machtlosigkeit führt oft dazu, dass wir nach außen Macht ausüben wollen. Wer sich als Kita-Leitung in die Enge gedrängt fühlt, will unter Umständen die Anderen kontrollieren und ihnen ihre zu lebende Rolle vorgeben. Damit geht die Leitung allerdings zu ihrem eigenen Selbstschutz über die Grenzen ihrer Mitarbeiterinnen hinweg. Der darunter liegende Gedanke, der sich instinktiv freischaltet, lautet: Wenn ich die Macht habe, gibt mir das scheinbar Sicherheit, weil ich die Eigenbewegung der Anderen, die mich in Frage stellen oder herausfordern könnten, unterbinde.
Eine Vorbildrolle in positiver Weise auszuüben, bedeutet, dass frau sich zunächst an die Festlegungen in der Konzeption gebunden fühlt und sich bedingungslos im Rahmen ihrer Grenzen und Möglichkeiten für das Wohl aller Beteiligten einsetzt - zum Wohle der Kinder, der Eltern, der Kolleginnen und des Trägers, ja, selbst auch im weitesten Sinne zum Wohle unserer Gesellschaft, in dem sie umsetzt und stärkt, was diese im großen Rahmen mehrheitlich als richtig empfindet.
Vorbildsein beinhaltet, sich entsprechend der eigenen Werte und Ziele zu verhalten. Handeln und Absicht sollten übereinstimmen. In den Handlungen und den Haltungen sollen sich die angestrebten Werte ausdrücken. Das hat etwas mit Authentisch-Sein zu tun. Wenn ich davon abweiche, bin ich bereit, dafür einzustehen und mich zu korrigieren. Vorbilder dürfen auch Fehler machen und zu ihnen stehen. Sie müssen nicht perfekt sein. Indem sie zum eigenen Abweichen stehen, und eine Diskussion darüber zulassen, ermöglichen sie Anderen, eine wertschätzende Haltung zu entwickeln, die der Fehlbaren einräumt, sich verändern zu können.
Werte könnten sein: Herzenswärme, Aufrichtigkeit, Toleranz, Authentizität, Wertschätzung, Verbindlichkeit, Geradlinigkeit, Glaubwürdigkeit; die Andersartigkeit respektieren und sie verstehen wollen, mit ihr umgehen, Zugang suchen, darauf eingehen, aus ihr heraus entwickeln, nicht überstülpen, sondern die Andere und ihr Anderssein mitnehmen in neue, angestrebte Bewegungen.
Entwicklung und Veränderung ereignen sich in Prozessen, die wir als Vorbilder / Verantwortliche anstoßen können, wenn wir die Notwendigkeit sehen. Wir können aber im laufenden Prozess nicht vorauswissen, wo wir da miteinander herauskommen. Denn alle sind am Prozess beteiligt und aktiv, das sollten wir im Bewusstsein halten. Ich traue meinem Gegenüber zu, dass sie an der Nahtstelle zu notwendigen Veränderungen diese als Herausforderung annehmen kann und aus sich selbst heraus zu kreativen Lösungen und neuen Rollen findet, die die Schwierigkeit beheben helfen. Dabei ist es möglich, Anstöße und Anregungen wie Einladungen "auszulegen", der Anderen zunächst alle Freiheit zu lassen, sie zu ergreifen oder eben nicht. Denn Druck erzeugt Gegendruck. Erst wenn diese Signale die betreffende Erzieherin nicht erreichen, kann es darum gehen, sie mit dem Hinweis, - wenn sie jetzt nicht zu einer eigenen Lösung finde -, darauf aufmerksam zu machen, dass sie dann mit der Situation in einer bestimmten Art und Weise umzugehen habe.
Ein Vorbild, das damit im Kontakt bleiben will, welche Wirkungen oder Reaktionen es durch sein Auftreten bei den Kolleginnen hervorruft, wird sich als atmosphärische Umgangsform für offene Kommunikation entscheiden. Dazu gehört, sich mitzuteilen und wissen zu lassen, wie es einem persönlich mit den Kolleginnen und in der Arbeit geht. Es findet ein allgemeines Bemühen statt, entstehende Fragestellungen oder Konfliktfelder mit den Kolleginnen in konstruktiven Austausch zu bringen, und spätestens dann, wenn ein Teammitglied Unterstützung und Hilfe braucht, dies das Team auch wissen zu lassen. Es geht um eine Kultur der Offenheit und des Sich Trauens: Traue ich mich, selbiges zu erbitten und einzufordern?
Unabdingbar in der Zusammenarbeit ist auch eine gewisse Form von Ehrlichkeit im Rahmen des Notwendigen, wenn es dabei um den Erhalt der Arbeitsfähigkeit geht. Modern spricht man dabei von konstruktiver Teiloffenheit. Alle Offenheit darüber hinaus kann für Vertrauensbildung hilfreich sein, kann aber nicht verpflichtend eingefordert werden. Alle aufkommenden Gefühle jedoch sind erlaubt! Sie dürfen nicht nur gefühlt, sondern auch mitgeteilt werden.
Wer über die bereits bekannten Möglichkeiten seiner Person hinaus wachsen möchte, tut dies entweder unter dem Druck einer Anforderungssituation, die uns zwingt, intuitiv und kreativ nach neuen Lösungsansätzen zu suchen und sie einzusetzen oder sie orientiert sich an einem (Handlungs-)Vorbild, über das sie erfährt, wie es noch gehen könnte. Am leichtesten haben wir es mit Vorbildern, die uns mögen, die uns wahrnehmen und respektieren und die mit ihrem Handlungsvorbildsein Erfolg haben.

So wie wir Kleider probetragen können und wenn wir sie anhaben, abspüren können, wie sie sich für uns anfühlen, was sie uns für ein Aussehen bescheren und welche Wirkung sie an uns entfalten und damit für uns zu einer Herausforderung werden, uns persönlich in diese Wirkung einzufinden, um sie in diesem Kleid glaubwürdig zu verkörpern, so ähnlich findet ein Prozess statt, wenn wir uns mit jemandem identifizieren, sein Verhalten oder seine Haltung nachahmen. Wir spüren, ob dieses Verhalten zu uns passt, ob es sich fremd anfühlt, was es bewirkt, was wir davon haben, damit wir es in gutem Sinne verkörpern können.
Ein Vorbild eröffnet Möglichkeiten, schafft Handlungsspielräume, macht Mut. Das führt dazu, dass sich andere noch ungeordnete und gestaltlose Kräfte in uns ausrichten können und sich in Handlungsmodellen ihrer gewählten Vorbildperson erproben können. Vielleicht brauchen wir zunächst nur das innere geistige Nachvollziehen der Handlung, eh wir sie dann selbst in die Welt bringen. Ich bilde und differenziere die angebotene Handlungslandkarte des Vorbilds zunächst in meinem Inneren gedanklich aus, spiele vielleicht erst verschiedene Eventualitäten und Möglichkeiten durch, ehe ich sie in den Ernst des Lebens hinein handelnd erprobe.
Ein Vorbild verkörpert, wie schon erwähnt, nicht nur Handlungsalternativen, sondern Haltungen, Werte, Umgangsformen, Selbststeuerung. Wir können profitieren vom Vorbild, auch dort, wo wir sehen, wie es mit sich selbst umgeht (z.B. im Angstfalle), oder wie es mit Situationen von Ratlosigkeit und Nicht-Wissen umgeht. Kann sich das Vorbild Nicht-Wissen erlauben und zugestehen, lädt es die Anderen dazu ein, mitzuwachsen und zeigt gleichzeitig, dass das sein darf - ja, man höre und staune, sogar bei der Leitung! Es geht dadurch nichts verloren und es lässt sich jederzeit wieder daran anknüpfen. Sich berühren lassen und betroffen sein dürfen durch die Andere, schafft Vertrauen, führt aber vielleicht auch zu Widerstreit, zu Blockierungen oder zu persönlicher Betroffenheit. Wer sie zulässt, kann sie überwachsen und es bildet sich erneut Vertrauen.
Die Einrichtungsleitung trägt zur Umsetzungskultur in ihrer Einrichtung auf verschiedene Arten und Weisen bei.
Viel eröffnet sich bereits durch das Vormachen und Mitmachen der Leiterin. Indem sie zeigt, wie es gehen könnte und indem sie mit ihrer Art zu handeln beziehungsnah zu den Kindern und den Eltern Verständigung findet und Führung beansprucht, lernen die Erzieherinnen durch Nachahmung und Reflexion ihres Vorgehens für sich selbst diesen pädagogischen Raum fruchtbar und erfüllend zu gestalten.
Die Einrichtungsleitung ist selbstverständlich auch dazu aufgefordert, aktiv begleitend zu führen. Das bedeutet, die Mitarbeiterinnen ganz direkt auf ihr Verhalten aufmerksam zu machen, den Raum für alternative Strategien zu öffnen, Mut zuzusprechen und gewagte Erprobung wertschätzend zu reflektieren.
Führung muss manchmal auch ganz direkt unterstützend wirken. So gilt es vielleicht, die anstehenden Führungsaufgaben zurückzustellen und eine Mitarbeiterin in ihrer Gruppe zu unterstützen, wenn die Kollegin krank ist und keine andere einspringen kann. Unterstützung kann auch dann nötig werden, wenn sich z.B. die Kommunikationswege zwischen Eltern und Gruppenmitarbeiterinnen verhärten oder emotional so aufladen, dass ein Zusammen kommen und Auflösen des Konfliktes nicht mehr möglich ist. Hier kann die Leiterin aus ihrem Abstand heraus und aus ihrem nicht unmittelbar Betroffen sein sachorientiert handeln und das Gewicht ihrer Führungsrolle in die Waagschale werfen.
Eine Einrichtung kann ohne Absprachen, ohne ritualisierte Abläufe, ohne Regeln und ohne festgelegte Rahmenbedingungen nicht stabil funktionieren. Deshalb kann es notwendig sein, in Situationen des Ausuferns oder des Verwischens ins Unklare Führung auch überwachend und einfordernd zu praktizieren. Wichtig ist dabei, die Gründe transparent zu machen und die Menschen "mitzunehmen", so gut es eben geht.
Führung findet statt als Balanceakt im Spannungsfeld zwischen einerseits Beziehung, die danach fragt, wie die Menschen in die notwendigen Prozesse mit einbezogen werden können und andererseits dem Blick auf das globale Feld der Mittel, in dem es um Fragen geht, wie z.B.: Welche Räume, welche Fähigkeiten, welche zeitlichen Ressourcen, wieviel Geld, wieviel Spielraum in der Strukturgestaltung zur Verfügung stehen, aus denen sich der zu verantwortende Rahmen schöpfen lässt?
Weiter geht es um die Frage der Informationen: Was sind die aktuellen Inhalte, Ziele, Themen? Was brauchen die beteiligten Menschen? Was kann die Einrichtung ihnen bieten?
Genauso wichtig ist die Frage nach der Gestaltung von Struktur und Begegnung: Wieviel Freiraum zur Selbstgestaltung, wieviel Programm, wieviel Pausen, wieviel Rhythmen, welche Art von Prioritäten und zeitlicher Einteilung braucht es, dass der "Gesamtkörper" Einrichtung sich organisch entwickeln und entfalten kann und dabei allen Teilnehmenden und dem selbst gesetzten Rahmen möglichst gerecht wird.

Die Leitungsaufgabe erfordert von Leiterinnen:

Eine schöpferische Distanz, die notwendig ist, um ihre Mitarbeiterinnen in ihrem Eigen-Sein zu erkennen und es ihnen auch zuzugestehen. Eine wertschätzende Einstellung, die aus der Liebe heraus handelt, um Vertrauen zu ermöglichen. Gesunde Härte, Grenzen, Linien, Konsequenz, um die Erfahrung tragfähiger Ordnungen und Regeln als Schutzraum zu ermöglichen, die wiederum Haltung prägen. Vertrauen in die Kräfte der Mitarbeiterinnen, um sie selbst einfühlend verstehen zu können. Respekt vor dem Wesen der Erzieherinnen, um sie nicht nach eigenen Wünschen zu formen und ihnen damit die freie Entfaltung zu nehmen. Folgende Schätze sind dabei für die Leitung eine große Hilfe:

Leiterinnen als professionelle Rollenvorbilder

Die Leiterin einer Kindertagesstätte ist für alle Mitarbeitenden unbewusst oder bewusst immer ein Vorbild. Mit der Art, wie sie sich im beruflichen Alltag zeigt, prägt sie zudem die Kultur ihrer Einrichtung. Wenn ihre Verhaltensweisen konstruktiv, wirksam und gleichzeitig menschlich-individuell sind, ihr Team sie als professionell und gleichzeitig authentisch erlebt, werden die Mitarbeitenden sich gerne an ihr orientieren und sich von ihr führen lassen.

Schön ist es in diesem Zusammenhang auch, wenn es der Leiterin über die eigene Person zu vermitteln gelingt,

  • dass es wertvoll ist, wenn ein Mensch etwas ganz Bestimmtes kann,
  • dass es wertvoll ist, wenn sich ein Mensch für bestimmte Dinge,
  • die er/sie aufgrund der eigenen Überzeugung für wichtig und gut hält, auch einsetzt.

Wichtig ist, dass sich die Leitung der Auseinandersetzung mit den Mitarbeiterinnen stellt.
Sprich, dass sie deutlich macht,

  • das, was sie meint
  • das, was sie will
  • warum sie es will

Führung beruht auf Aushandelsbeziehung, wobei das Aushandeln verlässlich sein muss. Es muss sich für die Mitarbeiterinnen in dem Sinne lohnen, dass sie merken, wenn ich mich auseinandersetze, werde ich ernst genommen und kann etwas beeinflussen.

Mitarbeiterinnen brauchen Vorbilder

  • an denen sie sich orientieren können
  • mit denen sie sich vergleichen können
  • an denen sie sich messen können
  • mit denen sie auch einmal konkurrieren können

Die Vorbilder müssen sich selbst, ihren Gefühlen und Handlungen, vertrauen können. Erzieherinnen wünschen sich Vorbilder, die auch einmal Räume entstehen lassen können, in die hinein sich erlebte innere Ambivalenz Bahn brechen kann. Sie wollen sich auch mit noch nicht ausgebildeten und entwickelten Anteilen zeigen dürfen.

Denn nur indem es sich so ereignen darf, kann Handeln wirklich erprobt werden und können sich Emotionen - weil sie in der Beziehung ihren Platz haben - auch ausdifferenzieren. Mitarbeiterinnen erkennen nämlich schnell, ob vermittelte Werte von der Leiterin auch wirklich durchdrungen sind, oder ob sie nur die Oberfläche zieren. Gerade an dieser Nahtstelle wird schnell das tatsächlich gelebte Leben sichtbar. Allerdings haben echte Vorbilder auch Fehler und Schwächen.
Obwohl die Erzieherinnen das selbst wissen und auch gar nichts anderes erwarten, wollen sie das von der Leitung selbst erfahren. Sie richten jede Menge Erwartungen an die Leiterin, an die Aufgaben, die sie erfüllt, an ihr Verhalten, an ihre Einstellungen und Werte, an die Beziehungen, die sie mit ihr eingehen.
Die Position und die Funktion der Leiterin im Team werden fortwährend kritisch beleuchtet. Die Erwartungen richten sich auch durchaus auf die Eigenschaften, die die Leitung mitbringt (bzw. mitzubringen hat). Sich in diesem Licht der kritischen Beobachtung nicht unzulänglich und unsicher zu fühlen, sondern zu sich zu stehen, das ist die zu bewältigende Herausforderung für die Leitung. Gelingt ihr das, ist die Grundlage für Vertrauensbildung erfüllt.

Eine Person entwickelt sich weiter. Sie wächst weiter in der Überwindung fachlicher und beruflicher Krisen und erweitert die eigenen Möglichkeiten. Es muss dabei die Chance gegeben sein, Erfahrungen und Fehler zu machen, Sicherheit und Unterstützung zu bekommen, wenn sie stolpert.

Es geht darum,

  • eigene Kräfte und Grenzen zu erproben,
  • oft antrainierte Passivität und Versorgungshaltung zu überwinden und
  • mutiger zu werden, den eigenen Alltag selbst in die Hand zu nehmen.

Es gilt das Verhältnis von

  • eigenem Kraft- und Zeitaufwand im Hinblick auf den Erfolg,
  • Ursache und Wirkung,
  • Möglichkeiten, Realität selbst zu gestalten,

zu erfahren, um ein Gefühl für das eigene Leistungs- Handlungs- und Eigentätigkeitsvermögen zu bekommen.

Hintergründe für die Wahl meiner eingeführten prozessualen Führungsdimension im Hinblick auf Vorbildvorstellungen

Aus meiner Sicht gilt es bei der Mitarbeiterführung auf tieferer Ebene zu bedenken, dass das Miteinander auf der kollegialen Ebene den Umgang zwischen Kinder und Erzieherinnen bzw. Eltern und Erzieherinnen abbilden muss. Deshalb ist es mir als Autor nun ein Anliegen, mich in die unmittelbare Herausforderungssituation der Erzieherinnen hinein zu vertiefen.

Die Erzieherin ist mit ihrem Beruf eingebettet in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Das Arbeitsfeld der Erzieherin ist sehr komplex, auch wenn das in der Öffentlichkeit so nicht immer wahrgenommen wird. Sie agiert und vermittelt in einem Beziehungs- und Interessensgefüge zwischen natürlich an erster Stelle den Kindern und deren Eltern, aber auch den Interessen der jeweiligen Träger, verschiedener Ämter und Institutionen oder politischen Gruppierungen und Parteien. Erziehung ist immer auch eine politische Arbeit, die neben den Sachkenntnissen auch Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen erfordert. Entsprechende Anforderungen werden an die Kindertageseinrichtungen herangetragen, angefangen bei der bestmöglichen Förderung der Kinder bis hin zu Integrations- und Kompensationsaufgaben, die die Gesellschaft im Allgemeinen auf vielen Gebieten zu leisten hat.

Erzieherinnen wirken in einer sehr sensiblen Phase der menschlichen Entwicklung. Die Lernprozesse des Kleinkindes laufen sehr verdichtet, sehr schnell und effizient ab. Die Prägungsdichte ist hier besonders groß und tiefgreifend. In den ersten  Lebensjahren wird der Grundstein für die gesamte spätere Entwicklung gelegt. Versäumnisse in dieser Lebensphase können nur schwer oder gar nicht mehr kompensiert werden. Deshalb brauchen Erzieherinnen ein waches Auge und werden während ihrer Ausbildung auch in Beobachtungs- und Selbstreflexionsaufgaben geschult. Es ist Aufgabe der Leiterin, die Teamdynamik ihrer Einrichtung in einem solchen wachen, für Veränderungsnotwendigkeiten offenen Raum zu halten.
Erzieherinnen müssen in der Lage sein, den verschiedenen Problemen und Aufgaben mit Offenheit und Toleranz zu begegnen. Vor allem bei der Arbeit mit Kindern müssen sie in verschiedenen Situationen oft spontan und schnell, sowie angemessen agieren und reagieren können. Die reine Intuition ist dabei wichtig, aber nicht ausreichend. Erzieherinnen reflektieren deshalb in ihrer Ausbildung exemplarisch zahlreiche Erziehungssituationen, betrachten sie auch in ihrem wissenschaftlichen Kontext und trainieren unterschiedliche Strategien.
In der Folge setzen sich Erzieherinnen auch sehr mit ihrer eigenen Person auseinander oder sind zumindest dazu angehalten. Wie in den meisten anderen Berufen hört die Ausbildung mit der staatlichen Anerkennung zur Erzieherin oder zur Kindheitspädagogin, dem Berufsabschluss, nicht auf. Um den täglichen Aufgaben gerecht werden zu können, braucht es auch hier lebenslang Fort- und Weiterbildungen.

Die Erzieherin wird als ganzer Mensch in ihrer Persönlichkeit gefordert und gebraucht. Die Herausforderung für sie besteht darin, einerseits als Erziehungsperson authentisch zu sein und andererseits die eigene Persönlichkeit als pädagogisches Handlungs- und Beziehungsinstrument einzusetzen. Denn das Kind fordert den direkten Kontakt und will, dass sich die Erzieherin mit ihrer ganzen Person auf es und seine Bedürfnisse bezieht und sich wiederum dem Kind und seiner Bewertung/Kritik ihres Handelns mit der ganzen Person aussetzt.
Denn die Kinder suchen sie als Handlungsvorbild, als Imitations- und Identifikationsmodell und suchen die direkte Antwort und Reaktion bei ihr in Haltung und Verhalten. In manchem wollen sie sein wie sie, in anderem grenzen sie sich ab und wollen gerade nicht sein wie sie.

Die Erzieherin leistet Beziehungsarbeit in ganz umfänglichem Sinn. Einerseits begleitet sie das Kind mit Empathie und Verständnis für seine Situation und wird dadurch zum Rollenmodell für den Umgang mit eigenen inneren Befindlichkeiten und Prozessen des Kindes, andererseits muss sie im Hinblick auf die Intentionen, Erlebnisbahnen und Handlungsmuster des Kindes Führung übernehmen und Grenzen setzen bzw. Alternativen aufzeigen. Die Kinder können diese von der Erzieherin gestalteten Vorgänge nur annehmen, wenn sie sich von dieser geliebt und angenommen fühlen.

Das Kind hat in seiner Ursprungsfamilie von Vater und Mutter oder auch anderen Bezugspersonen bestimmte Beziehungsmuster erlernt, bringt diese nun in die Beziehung zur Erzieherin, aber auch zu den anderen Kindern, ein. Die Erzieherin hat die schwierige Aufgabe zu bewältigen, das Kind und seine Persönlichkeit zu allererst einmal anzunehmen, auch mit Beziehungsangeboten, die von ihr und den anderen Kindern als Zumutung oder als wenig hilfreich erlebt werden. Andererseits ist sie aber auch in der Pflicht, auf seine Beziehungsmuster zu reagieren. Sind diese nicht hilfreich oder lösen über ihre Erwartungsintention bei der Erzieherin in der Gegenübertragung eine Beziehungsreaktion aus, die nicht konstruktiv ist, muss diese ein neues annehmbares Beziehungsverhalten dem Kind anbieten oder über das eigene Verhalten ein anderes Beziehungsverhalten beim Kind auslösen und es unterstützen.

Die Erzieherin hat aber nun selbst auch eine Geschichte und reagiert auf bestimmte Verhaltensweisen der Kinder auf ihre persönliche Weise. Unter Umständen entwickelt sie unangenehme Gefühle gegenüber einem Kind. Dann ist es ihre Aufgabe zu reflektieren, woher diese Gefühle kommen, was sie mit ihrer Geschichte zu tun haben und es ist an ihr zu überlegen, wie sie ihre Gefühle für sich so verwandeln kann, dass sie dem Kind wieder offen begegnen kann.
Diese differenzierten und feinstofflichen Prozesse erfordern eine reife Persönlichkeit und es wird deutlich, warum Leitung als Handlungsvorbild gerade in diesen Bereich hinein Führung und Beziehung anlegen muss.

Geschichte und Aspekte auf dem Weg zur eigenen Persönlichkeitsreifung der Erzieherin

Überstandene, durchdrungene Lebenskrisen/Krisensituationen führen zu persönlicher Lebenserfahrung, die wiederum hilft, die Berufsrolle professionell gut und erfolgreich auszufüllen.
Die Herkunftsfamilie und die damit verbundene frühe Sozialisation der Erzieherin selbst müssen reflektiert, verstanden und in die Persönlichkeit integriert sein.
Es bedarf eines gewissen Reflexionsvermögens die eigene Lebensgeschichte betreffend. Auch bedarf es der Kenntnis der eigenen Persönlichkeitsstruktur und auch der Erfahrung anderer Persönlichkeitsstrukturen. Differenzierter und sensibler Umgang mit sich selbst ist ein ganzes Berufsleben lang erforderlich.
Deshalb sollte die Erzieherin auch ein gewisses Bewusstsein für die eigene Geschlechtsrollensozialisation haben. Für eine junge Frau ist es unter Umständen sehr naheliegend, in der Erziehung tätig zu werden, gerade weil die Mutter das schon vorgelebt hat. Wird sie eventuell Erzieherin, weil ihr diese Entscheidung vielleicht am wenigsten Angst macht, ihr der Tätigkeitsbereich schon aus dem eigenen Familienalltag vertraut ist? Will sie mit ihrer Wahl eigene Ängste vermeiden, die entstehen würden, wenn sie sich in unbekannte, neue, nicht weiblich-mütterliche Bereiche hineindenken würde? Die eigene unbewusste Motivation sollte erkannt und überwachsen werden, bewusst wahrgenommen werden können.
Wenn wir mit Vertrauen und in Vertrauen begleiten wollen, ist es wichtig, sich zu fragen, wie die eigene Entwicklungsgeschichte im Hinblick auf Ängste, Abwehrbewegungen und Blockaden aussieht. Denn dort, wo wir den Lebensfluss aufhalten, sind wir mit einer tiefen inneren Angst konfrontiert. Es ist entscheidend wichtig, diese Angst als Signal zu verstehen, die uns aufmerksam machen möchte, genauer hinzuschauen, um uns kennen zu lernen und uns so unterstützen zu lernen, dass wir diese blockierte Lebensenergie wieder ins Fließen bringen können. So wird die Angst zum Freund und verliert ihre Rolle als Gegenspielerin zum Vertrauen ins Leben und die Erzieherin wird zum Handlungsvorbild für das in Angst und Misstrauen befindliche Kind.
Es gilt also eine differenzierte Wahrnehmung innerer Vorgänge, Bewegungen und Empfindungen zu entwickeln. Neben der Wahrnehmung innerer Angstsensationen ist es aber auch wichtig, sie zu versprachlichen und dem Kind zu zeigen, wenn frau diese unguten Gefühle mit anderen teilt, dass frau sich dann auch weniger alleine fühlt. Die Erzieherin ist mit ihrer Person das Instrument, das hilft auszuleuchten und Antworten zu finden. Es ist wichtig, dass sie sich diesen eigenen inneren Erlebnisraum des Ausleuchtens und Hinspürens erlaubt, sich Zeit lässt, um mit ihren Gefühlen in "Fühlung" zu kommen. Sie sollte den eigenen Gefühlen einen Platz zuordnen können, die Steuerungshoheit über ihre Gefühle behalten, den Gefühlen wegweisende Bahnen legen und sie kultivieren.
Ganz wichtig: Die Erzieherin sollte selbst die Fähigkeit zum Austausch besitzen, sich nicht allein machen, weder mit guten noch mit nicht bewältigbaren Gefühlen.
Der Beruf zieht auch Menschen an, die dem Konkurrenzkampf und Leistungsdruck in der freien Wirtschaft ausweichen wollen. Es ist allerdings ein Trugschluss zu glauben, im Umgang mit Menschen Sicherheit und Anlehnung in vorgegebenen Strukturen finden zu können. Durch die Art, wie sich die Erzieherin als Persönlichkeit präsentiert, was sie ausstrahlt und zu was sie einlädt durch ihre Präsenz, ist von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf die Frage, ob es ihr gelingt, die Kinder dadurch an sich zu binden und sich von ihr führen zu lassen. Hier beantwortet sich die Frage, ob die Erzieherin durch ihre Person natürliche Autorität ausstrahlen kann.
Schafft sie es, die Kinder zu begeistern und für sich zu gewinnen? Kann sie faszinieren? Kann sie fast unmerklich oder auch deutlich Richtung geben, die das Ja der Kinder findet?
Erzieherinnen brauchen die Ich-Stärke, dass sie den Spiegel der Kolleginnen und der Kinder nicht nur aushalten können, sondern kreativ und konstruktiv in ein neues Rollenverhalten übersetzen können. Das geht nur in einem vertrauensvoll miteinander arbeitenden Team, in dem Fehler und persönliche „Verhakungen“ als Wachstumsmöglichkeiten gesehen werden.
Die Erzieherin sollte ihre Schattenseiten und Schwächen, aber auch ihre Stärken kennen. Sie sollte Kinder unterstützen können, ihre Schwächen zu stärken und ihre Stärken zu fördern, aber auch sozial einzubetten.
Erzieherinnen müssen die Kinderpersönlichkeit erfassen können. Sie müssen in der Lage sein, das Kind im Nahbereich zu begleiten, sich intensiv einzufühlen, um auch wahrzunehmen, in welcher Weise das einzelne Kind seine Welt bewertet und in welcher Weise es seiner Welt subjektiv Bedeutung gibt und welche Schlüsse das Kind daraus für sich selbst zieht.
Sich in die Spielprozesse der Kinder einfädeln können, die Gesetzmäßigkeiten von Rollenspielen begreifen, auf der Ebene der kindlichen Rollenspiele mit eintauchen können, an den Bildern eines entstehenden Rollenspieles mitwirken können, sich auch einmal unangenehme Rollen zuschreiben lassen (ohne Angst vor Gesichtsverlust) sind notwendige Instrumente für die Begleitung von kindlichen Gruppenprozessen. Nur so aus dem Spiel heraus kann die Erzieherin dazu beitragen, dass sich verfestigte Rollen der Kinder wieder verflüssigen können.
Der Beruf der Erzieherin ist also ein zur Kreativität herausfordernder Beruf.
Dem Bedürfnis der Kinder nach Wildheit und Bewegung Raum zu geben und gleichzeitig gestaltend zu wirken, diesen Impulsen Form und Ausdruck zu geben, die in einen tragfähigen gemeinsam entwickelten Rahmen münden, ist ein anspruchsvoller und gleichsam schöpferischer Vorgang.
Aus dem Spiel heraus Identitäten anbieten (Indianer, Cowboys, Ritter, Piraten, Friseure, Tiere, Kosmetikerin, Köchin, Chefin, Mama, Papa), entsprechendes Equipment herstellen, Geschichten dazu aufleben lassen, all das hilft den Kindern, ihr noch kleines und noch unerfahrenes Leben zu überwachsen.
Kinder können sich in solchen Rollen neu erleben und können gleichzeitig schwierig zu interpretierende Formen der Selbstäußerung in diese erlaubten Rollen hinein verstecken und so über inszenierte Bilder indirekt Selbstaussagen treffen, die uns Pädagoginnen Hinweise geben und uns das Kind verstehen helfen.
Darüber hinaus ermöglichen solche Rollenspiele auch, hoffnungsfrohe Bilder zu entwerfen, die auf Probe gleich gelebt werden können.
Die Erzieherin kann in den gemeinsam entwickelten Arrangements Mut machen, durch körperliche Präsenz auch körperlichen Schutz und Aufgehoben sein vermitteln, dem Kind auch mit dem Körper einen Rahmen und Halt geben. Sie kann die Kinder miteinander ins Gespräch bringen, im Gespräch Tiefe zum Wesentlichen herstellen.
Das alles kann eine alleine nicht leisten. Frau darf auch einmal müde sein und nicht mehr funktionieren können, schräg drauf sein, schlechte Laune haben und sich dem Druck nicht gewachsen fühlen, frau darf auch einmal nicht in der Kraft sein, nicht kreativ sein können usw. Wichtig ist nur, dies so zu leben, dass es für die Kinder insgesamt glaubwürdig bleibt, keinen Bruch in der Rolle gibt und keinen Schaden anrichtet.
Es braucht ein tragfähiges Team, eine verständnisvolle und unterstützende, moderierende Leitung, Anerkennung der Arbeit durch die Eltern und den Träger. Fehlt eines der Elemente, darf, ja muss dies eingefordert oder wach gerüttelt werden.
Einzelkind-bezogen ist es nach dem Auftauchen aus solchen Spielsituationen wichtig, sich Fragen wie folgende zu stellen: Wie geht es mir mit dem Kind als Erzieherin? Was ist das Besondere, das bei mir durch das Kind angestoßen wird? Warum erleben das die Kolleginnen ganz anders? Was erleben sie anders? Wie verhalte ich mich dem Kind gegenüber? Bin ich aufmerksam? Voreingenommen?
Was in meiner eigenen Geschichte trägt dazu bei, dass ich so eingleisig wahrnehme? Warum nur habe ich diesem Kind gegenüber so wenig abrufbare Handlungsbereitschaften zur Verfügung? Wie kann ich sie erweitern? Wie reagieren andere? Wie könnte ich noch reagieren oder empfinden? Welche der Vorschläge der Anderen kommen für mich persönlich zum Ausprobieren in Frage? Wie kann ich meine momentanen Gefühle zum Kind, die in der Situation nicht wirklich hilfreich sind, verwandeln? Nicht das Kind ist schuld, dass ich solche Gefühle habe, sondern etwas in mir macht mich eng und lässt mir scheinbar keine andere Wahl, als genau diese Gefühle zu haben.
Als Leserin haben Sie sicher schon bemerkt, dass sich all diese Fragen aus dem Nähe-Raum zum Kind heraus bilden, in dem die Grenzen zwischen der Erzieherin und dem Kind verwischen. Hier hat die Leiterin mit dem etwas größeren Abstand zu den feingliedrigen Prozessen eine wichtige Funktion. Sie kann im Kontakt mit ihren Kolleginnen einfach durch ihre Haltung in einen Raum hinein führen, in dem sich die Dinge zwar verbunden aber wieder getrennter anfühlen und die Erzieherin so wieder zu sich und in ihre professionelle Berufshaltung, die ja auch immer wieder Abstand wahren muss, zurückfindet.

Kinder brauchen…

Kinder brauchen Erzieherinnen, die Kinder mögen.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die sich gerne mit Kindern auseinandersetzen.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die glaubwürdig Grenzen ziehen können.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die belastbar sind.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die es aushalten, mit vielen verschiedenen Problemen konfrontiert zu sein.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die den Mut haben, sich aufs kindliche Spiel einzulassen.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die ihnen ganz Handlungsvorbild sind und ihnen ganz Orientierung geben.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die sich gerne auf sie einlassen.
Kinder brauchen Erzieherinnen, die sie bestärken.

Von einer guten Erzieherin wird erwartet, dass sie zu jedem Kind Zugang findet, sich persönlich auf es bezieht und es versteht.
Dieser Anspruch rührt aus dem Wesen des Kindes, das die verbindliche und persönliche Beziehung zu dem Erwachsenen, der Vorbild ist und Orientierung gibt, braucht. So wie auch die Erzieherin selbst sich nach einer Leitung sehnt, die sie versteht, die sie anregen und führen kann, die sie wertschätzt und in ihrer Fachlichkeit achtet und respektiert, die ihr auch einmal etwas nachsieht und die über den Alltag hinaus Sinn stiften kann.
Wesentliche Bedeutung in der Kindergartenarbeit hat die „Pädagogische Liebe“ als gefühlsmäßige Bindung der Erzieherin an das Kind und umgekehrt. Die Erzieherin wirkt, ob gewollt oder nicht, als Imitationsmodell und Identifikationsobjekt und damit durch ihre Persönlichkeit als Lernquelle für das Kind. Wenn also die Erzieherin durch ihre Persönlichkeit Kindern ein Modell anbieten soll, mit dem diese sich identifizieren, aber an dem sie sich auch abarbeiten können, dann ist die Entwicklung der beruflichen Selbstfindung unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Kindertagesstättenarbeit. Die Professionalität liegt also darin, in der Begleitung der Kinder den scheinbaren Widerspruch zwischen Professionalität und pädagogischer Liebe miteinander zu vereinbaren. Dieser Weg erfordert von der Erzieherin, sich im Prozess des Einfühlens mit ihrer ganzen Person dem Kind zu verschenken, Kinder nicht zu unterdrücken, sondern Perspektiven zu eröffnen, nicht sich selbst, sondern das Bedürfnis der Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. Das kleine Kind ist auf die gefühlsmäßige Verbundenheit mit seiner Erzieherin angewiesen.
Jetzt wird noch deutlicher, dass es Parallelen gibt zwischen der Art, wie Kinder von ihren Erzieherinnen geführt werden wollen und der Art, wie Erzieherinnen Führung von ihrer Leitung annehmen können. Im einen Fall ist die Leitung Handlungs- und Beziehungsvorbild für die Kolleginnen, im anderen Fall gibt die Erzieherin das kennengelernte, im besten Fall erfüllende Beziehungsverhältnis an die Kinder mehr oder weniger bewusst oder unbewusst weiter. Die Beziehungsarbeit der Leitung als Handlungsvorbild mit ihren Mitarbeiterinnen ist also gleichzeitig indirekt Beziehungsarbeit am Kind. Gelingt es ihr, im Verhältnis zu ihren Mitarbeiterinnen Vertrauen nicht nur zu säen, sondern auch als immer wieder erreichbare Qualität zu etablieren, können wir davon ausgehen, dass auch die Beziehungen der Kinder zu ihren Erzieherinnen - und umgekehrt - von ähnlichen Vertrauensbildungen geprägt werden.

Wertehaltung – Wertekultur – Sinnvermittlung
Werte im Leitungsalltag

Was bedeutet eigentlich Werteerziehung? Ist das hauptsächlich der Versuch, eigene Werte und Normen auf Andere zu übertragen oder ist es der Versuch, die Kolleginnen darin zu unterstützen, eigene Werte und Normen für sich in ihrem Berufsleben zu entdecken?
Geht Wertebildung nur von der Leiterin aus oder findet Wertebildung nicht viel mehr in der Beziehung zwischen Menschen statt, die es gemeinsam schaffen wollen und ist dabei die Verständigung auf gemeinsame Werte nicht ein wertvoller immer wieder neu stattfindender Prozess?
Menschen wollen Werte und Haltungen nicht als fertig und richtig oder falsch präsentiert bekommen, sondern sie wollen sich Werte und Haltungen in Auseinandersetzung mit Anderen im wahrsten Sinne des Wortes erwerben und 'aus den Rippen schwitzen'.
Der Mensch auf der Suche nach Identität, durch alle Lebensabschnitte hindurch, bewegt sich im Spannungsfeld von Wahrhaftigkeit und Lüge, Glücksvorstellungen und Glücksversprechen, Sucht und Rausch, Freundschaft, Liebe und Sexualität, Ehe und Familie, Arbeit, Freizeit und Muße, Menschenrechten und Menschenrechtsverletzungen, Schuld und Strafe, Mensch und Natur, unterschiedlichster Rollenvorstellungen der Geschlechter, Tod und Sterben, Gewissen und Gewissensbildung, Vorurteile und Diskriminierung, Gewalt und Aggression, Recht und Gerechtigkeit, Wahrheit und Wirklichkeit, (religiöser) Verankerung und kultureller Prägungen im Zusammenleben, einer Moral oder vieler Morales, Einzelnen und Staat, technischer Entwicklungsmöglichkeiten und der an sie geknüpften Hoffnungen und Gefährdungen für die Menschen - und immer schwingt die Frage nach der Menschenwürde mit.
Auch in diesem umfassenden und unausgesprochenen Sinne wirkt die Leitung als Vorbild in der Art und Weise, wie sie im Leben steht, was ihr in ihrem Leben begegnet und wie sie sich zu dem, was ihr begegnet, stellt. Glaubwürdigkeit wächst durch die wahrgenommene Integrität der Führungspersönlichkeit. Gewachsene Glaubwürdigkeit ist der beste Nährboden für tragendes Vertrauen.

Werteübernahme

In jedem Team findet auf die eine oder andere Weise bewusst oder unbewusst Wertevermittlung statt. Kolleginnen formen sich gegenseitig tief und nachhaltig in ihrer Entwicklung und Lebenseinstellung. Die gelebten und zu erringenden Werte können für sie eine beflügelnde und beglückende, aber genauso gut eine bremsende und negativ beeinträchtigende Wirkung haben. Zwischen diesen Polen der Zustimmung und der Ablehnung von Werten, dem Kennenlernen der Werte anderer Menschen und den Schlüssen aus dem persönlichen Erfahrungsschatz sollen wir jeden Tag aufs Neue eigene Wertepakete schnüren. Das ist eine schwere Aufgabe. Wollen wir doch alle unser Leben erfolgreich meistern! Wir leben ein Leben, von dem wir nicht wissen, wohin es sich entwickelt und in was für eine Welt es einmal eingebettet sein wird. Nach welchen Kriterien sollen wir unsere Werte auswählen?
Wer den Geschehnissen keine Bedeutung geben kann, der kann für sich auch nicht entscheiden, was er für gut oder schlecht, richtig oder falsch, für notwendig und angemessen hält. Leiterinnen ohne eigenes – auch perspektivisch vorausgedachtes – Bedeutungs- und Wertesystem oder mit destruktiven Wertevorstellungen sind für ihre Mitarbeiterinnen bedeutungslos. Sie können weder begrenzen noch unterstützen, weil ihnen der eigene Bezugsrahmen fehlt.

Ideale und Alltagshandeln

Menschen unterliegen unterschiedlichen Stimmungen und Befindlichkeiten. Darf es sein, dass es dem Menschen, wenn er aus der Fassung gerät oder es ihm schlecht geht, schwer fällt, seine Ideale im Alltagshandeln auch zu verwirklichen?
Wir nehmen uns z. B. vor, wenn eine ganz bestimmte Situation wieder auftritt, sie sachlich anzusprechen und zu klären. Die Situation tritt ein, aber kurz zuvor kam es vielleicht zu einer Auseinandersetzung mit der Chefin, die uns aus der Bahn geworfen hat, und plötzlich sind alle guten Vorsätze dahin. Wir können deshalb nicht auf Vorsätze verzichten, aber wir müssen großzügig mit uns sein.
In jedem Team gibt es Ungerechtigkeiten. Liebe, Akzeptanz, Aufmerksamkeit und Anerkennung werden niemals so verteilt, dass sich alle gerecht behandelt fühlen. Das führt zum Groll gegenüber Kolleginnen mit ganz unterschiedlicher Qualität. Leiterinnen können sich noch so bemühen, keine Erzieherin der anderen vorzuziehen, ihre Wertschätzung so gleichmäßig wie möglich zu verteilen, fair zu sein und keiner Kollegin Lob und Anerkennung vorzuenthalten, ob es ihr gelingt, bleibt offen. Denn wie die einzelne Erzieherin die Situation subjektiv selbst erlebt, kann von dem Glauben der Leiterin, es gut zu tun, weitgehend abweichen. Empfinden ist und bleibt eine subjektive Sache. Gerechtigkeit findet frau deshalb auch nicht unbedingt über den Weg der Gleichbehandlung.
Das Team ist kein starres, sondern ein sehr dynamisches System und muss in ihrer Balance-Findung als offener Prozess verstanden werden. Hierfür braucht es gemeinsames Erarbeiten und Entdecken, Zuhören und Verstehen, Sich-Öffnen und Annähern, Betonung von Autonomie (Wir können selbst gestalten in bestimmten Grenzen), Akzeptanz, Souveränität und Toleranz, Erkennen von derzeit Unlösbarem, Stehenlassen offener Fragen, Bedürfnisorientierung, Problembezug und Entwicklungsfähigkeit, phänomenologisches Betrachten und strukturelles Erfassen auf Seiten der Leiterin, sowie einen positiven Kontext, in dem das alles stattfindet.
Ich wünsche Ihnen als Leiterin eine gute Hand und frischen Wind, um Ihr Schiff in gute Fahrt und in eine für Sie vertretbare Richtung zu bringen. Aber auch hier gilt, was ist mit dem Steuer in der Hand zu erreichen, wenn es keine Crew gibt, die die Segel setzt und einspringt, wenn Not an der Frau ist.
An das Ende dieses Kapitels stelle ich eine Geschichte, die von Idealen handelt, vom Ringen um die Umsetzung dieser Ideale, vom Einfluss, den die Ausgangslage dabei nimmt, wie auch von den Widrigkeiten, die entstehen können, wenn wir versuchen, Umsetzung in den Alltag zu initiieren. Der Rahmen der Geschichte findet zwischen den Polen naturwissenschaftlicher Festschreibung und alltagspragmatischer Umsetzung statt und lädt durchaus zum Schmunzeln ein.

Der Adler im Hühnerstall

Es war einmal ein Bauer, der ging nach einem langen Winter und den ersten wichtigen Arbeiten im beginnenden Frühjahr hinaus auf seine Wiesen und Felder, um sie wie jedes Jahr gewohnheitsmäßig abzuschreiten. Nun hörte er unterwegs leise, piepsende, irgendwie vertraute Geräusche. Wie er sich niederbückte, um zu sehen, wer sich mit diesen Tönen verbinde, fand er ein kleines Adlerjunges. Woher um alles in der Welt konnte dieses Junge nur kommen, kaum dass der Winter vergangen war? Es war eigentlich noch nicht die Brutzeit der Adler und schon gar nicht die Zeit des Ausschlüpfens der Jungtiere. Schnell stellte der Bauer mit fachmännischem Blick fest, dass das Adlerjunge noch viel zu klein ist, um allein zurecht zu kommen.
So entschloss er sich, es mitzunehmen und aufzuziehen, um es in die Freiheit zu entlassen, sobald es alt genug dafür sei. Zu Hause setzte er den Adler in das Gehege seiner Hühner und vergaß ihn dort wohl auch alsbald.
Der kleine Adler wuchs auf mit den Hühnern, saß auf der Stange wie die Hühner, pickte mit den Hühnern und gackerte auch mit den Hühnern. Tja, bis eines Tages ein Ornithologe am Anwesen des Bauern vorbeikam und eben genannten Adler im Hühnerstall entdeckte. Dieser traute seinen Augen kaum. Nachdem er sich mehrfach gezwickt hatte, die Augen gerieben hatte und überzeugt war, dass er keiner Halluzination aufgesessen war, zog er an der Glocke des Bauernhauses und nahm Kontakt zum Bauern auf.
Vorwurfsvoll wandte er sich an den Bauern und fragte ihn, wie er es zulassen konnte, den König der Lüfte in einem solchen Käfig eingesperrt zu halten. „Joa mei“, sagte der Bauer, „den muss ich dort wohl vergessen ham.“ Der Ornithologe, schon weniger gereizt, lenkte ein und fragte, ob er den Adler wohl in die Freiheit entlassen dürfte. Da der Bauer seinem Ansinnen zustimmte, nahm er den Adler auf seinen Lederhandschuh und ging mit ihm ein Stück des Weges hinaus aus dem Hühnerstall auf die nächst gelegene, offene Wiese. Er rief dem Adler zu: „Oh du König der Lüfte, schwinge dich auf und fliege der Sonne entgegen, wie es dein Schicksal mit dir vor-gesehen hat!“ Er ging in die Hocke und mit der Aufwärtsbewegung seiner Beine, streckte er auch den Arm, auf dem der Adler saß, soweit er konnte in die Luft, um ihm Schwung für den ersten Flügelschlag mitzugeben. Tatsächlich gingen die Flügel des Adlers auch einige Male willig auf und nieder, doch, was musste der Vogelkundler mit Entsetzen feststellen? Den Adler zog es offensichtlich zurück zu seinen Hühnern, denn ehe er sich versah, war er wieder im Hühnergehege gelandet. Nun war es am Ornithologen, dass er sich noch mehr wundern musste. Er kratzte sich am Kopf, am Kinn und runzelte die Stirn, weil er kaum glauben konnte, was vor seinen Augen geschah.
Verdrossen machte er sich auf den Heimweg, doch das Erlebnis ließ ihn nicht mehr los. Ja, es bereitete ihm schlaflose Nächte, was er gesehen hatte. Es wollte nicht in seinen Kopf hinein, dass der Adler als Huhn in einem Hühnerstall enden sollte. So ging er tags darauf wieder zu diesem Hof und sprach erneut bei dem Bauern vor, um ihn wiederum zu bitten, den Adler mit-nehmen zu dürfen. „Dieses Mal“, dachte er, „will ich es richtig machen“. Er spähte nach einem höher gelegenen Hügel und nahm den Adler dorthin mit, um sein bereits einmal vollzogenes Ritual zu wiederholen und den König der Lüfte mit demselben Spruch erneut gen Himmel zu entlassen.
Vom plötzlichen unfreiwilligen Flug überrascht, fügte sich der Adler in sein Schicksal und schlug die Flügel auf und nieder, um sich in der Luft zu halten und er flog und flog und begann Kreise zu ziehen bis er dann erneut, recht unvermittelt, in dem Hühnergehege, das er wohl eindeutig als sein Zuhause ausersehen hatte, landete.
Der Vogelkundler, noch aufgewühlter als nach dem ersten Versuch, verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte das angehen, ein Adler im Hühnerstall!? Von einem Zufall wollte er jetzt, nach seinem zweiten Versuch, nicht mehr sprechen. Aber unschlüssig, was zu tun sei, machte er sich auf den Heimweg und verbrachte grübelnd einige unruhige Tage. Je mehr Tage sich zwischen den zweiten Versuch und seine Überlegungen legten, umso mehr war er überzeugt, dass es nur an ihm gelegen haben konnte. Dieser Adler musste einfach gen Himmel fliegen wollen, denn schließlich war er ja der König der Lüfte!
So entschied er sich bald, den Bauern erneut aufzusuchen. Er dachte sich, alle guten Dinge seien drei. Vielleicht war die neue Freiheit zu überraschend gekommen und der Adler musste sich erst auf diese großartige Chance, in die Freiheit zu kommen, einstellen. Diesmal wollte er hundert Prozent alles richtig machen. Nicht der nächstgelegene Hügel sollte es sein, von wo aus er den Adler in die Welt der Lüfte entlassen wollte, nein, er wollte gerne die Mühe auf sich nehmen und den höchsten Berg der am Horizont weilenden Bergkette besteigen und die dafür not-wendige Anstrengung auf sich nehmen.
Gesagt getan. Erwartungsvoll stand er nun über allen Gipfeln und wartete voller Ungeduld auf das, was da nun kommen mochte. Er entließ den Adler in die Lüfte und rief ihm zu: „Oh du König der Lüfte, schwinge dich auf und fliege der Sonne entgegen, wie es dein Schicksal mit dir vorgesehen hat!“ Und der Adler hob ab und flog und flog und flog und wir wissen nicht, ob er nun endlich den Flug in die Freiheit - seinem Wesen als König der Lüfte gemäß - angetreten hat oder ob ihn nicht doch die Sehnsucht nach der heimeligen und vor allen Dingen versorgen-den Atmosphäre seines Hühnerstalls überkam und er zum Rückflug ansetzte…

Was hätten Sie an Stelle des Adlers getan?
Bewegen sich nicht alle Menschen zwischen den Polen ihrer „göttlichen“ Herkunft und den Niederungen Ihres Alltagshandelns? Lieben wir nicht auch aus unseren Kindern das Allerbeste heraus, und sie geben sich manchmal mit sehr viel weniger zufrieden? Und geht es uns selbst nicht auch manchmal so, dass es zwar schön ist, König der Lüfte zu sein, aber um wie viel schöner ist es, ausgestreutes Futter ohne weiteren Einsatz einfach nur aufzupicken?

Vertrauensentwicklung auf dem Boden von Mutter-Kind-Verbundenheit

Der Raum zwischen Mutter und Kind in dieser ersten Zeit ist also ein ganz besonderer Raum. Ein Raum des intuitiven Spürens, des feinstofflichen Vorausahnens von Erwartungen, von Notwendigkeiten, von erforderlichen Abstimmungsprozessen, ein Aufeinander-zu im Zwischenraum des Ungreifbaren. Es handelt sich um einen offenen Fließraum, um zwei ich-erfüllte Klangräume, die nach Begegnung und Verstehen, nach zusammen schwingender Resonanz (resonare = tönen) suchen, sich auf Versuch und Irrtum vortasten mit dem siebten Sinn.
Zwischen Mutter und Kind entsteht also ein Feld, in dem die beiden ich-erfüllten Klangräume aufeinander treffen, Resonanzanklang finden, harmonieren oder disharmonieren, auf jeden Fall miteinander korrespondieren. Menschen sind, gerade in dieser Mutter-Kind-Dyade besonders beeinflussbar und infizierbar durch die Gemütsregungen des Dyadenpartners. Mutter und Kind kommunizieren spiegelnd und anregend mit ihren Gesichtern, diesen einander anblickenden und sich suchenden Flächen. Es ist sogar so, dass das Gesicht des Anderen erst das eigene in die Sichtbarkeit, Bedeutsamkeit bzw. Lesbarkeit herauszieht, ein Prozess, der zum „Portrait“ hinführt.
Zwischen Gesichtern ist mithin eine sehr feine, sehr aufgeladene resonante Zone besonderer Art gegeben, die es verdient, Intimzone zu heißen. In der Mikrosphäre dieser Beziehung geht es um die zartwandigen Kleinwelten, die mit Mutter-Kind-Verbundenheit, Paarverbundenheit, symbiotischer Partizipation, intimer Resonanz zu tun haben.
Sie sind als erfüllte Rundungen und schwangere Räume vorzustellen und nicht als geometrische Formen und Ordnungsstrukturen. Das, was sich hier in diesem Mikrokosmos zwischen Mutter und Kind, eventuell auch Vater und Kind, aus dem vielfältigen Explorieren im Miteinander an Vertrauen, Verlässlichkeit, Sicherheit und an Stabilität entwickelt, ist die Grundlage für das Weitergehen in neue Welten und wird in seiner persönlichen Färbung und seiner Intimität als Resonanzboden noch bis ins dritte Lebensjahr hinein gebraucht.

Die Kita als Raum, der die Primärsphäre von Mutter und Kind in die Kultur - und Gemeinschaftsbildung hinein zu übertragen versucht

Gelingt es nun der Kita, an diesen bereits entwickelten Beziehungs- und Erfahrungsraum anzuknüpfen und darauf aufzubauen oder reißt der rote Faden der entstandenen vertrauensvollen Kontinuität zwischen Mutter und Kind an dieser Stelle?
Im guten Fall setzt die Erzieherin das fort, was zwischen Mutter und Kind seinen Anfang gefunden hat, aber nicht für sie, sondern zusätzlich zu ihr. Es entstehen unterschiedliche kleinformatige, persönlich gefärbte Grundverhältnisse, die Modell sind fürs weitere Leben. In allen größeren Einheiten (Kita, Schule etc.), die über dieses exklusive Kleinverhältnis von Beziehung hinausgehen, muss man bereits die Wirksamkeit von Übertragungs- und Vervielfältigungstechniken, wie auch Überlebensmechanismen voraussetzen, die sich von den einfachen in der Dyade erlebten Formen her keinesfalls von selbst verstehen und erklären lassen.
Es kommt zu Abstimmungs- und Anpassungsvorgängen vom kleineren Persönlichen hinein ins Größere und weniger persönlich Angebundene.
Welche Aufgabe kommt dabei den frühen Kinderstätten zu, um das Grundlegende über die Mutter hinaus anzulegen und erfahrbar zu machen, was nachher im größeren Raum als Grundlage zur Kulturbildung vorausgesetzt wird? Schließlich ist die Konstruktion von abstrakteren Großeinheiten zurückzuführen auf einen allgemein wirksamen Mechanismus von Anheimelungstechniken und Befreundungsverfahren, der in der Übertragung von Vertrautem auf Unvertrautes und von Familiärem auf "Unfamiliäres" beruht. Die Großformen leben davon, dass sie einen imaginären Fundus an kleinsphärischen Erlebnisweisen übertragen können – wo solche Vertrautheitsübertragungen misslingen, wird es schwierig, Gemeinschaft erlebbar und gestaltbar zu machen. Die Kita hat also eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe!
Wie können die Kinderkrippe und die darin tätigen Erzieherinnen dazu beitragen - und wollen sie das überhaupt? Muss hier nicht die Quadratur des Kreises gelingen, damit beides, das Anheimelnde und das verwaltungstechnisch Notwendige seinen Platz findet? Die Unheimlichkeit der modernen Lebensverhältnisse macht insgesamt die Befreundung prekär. Übertragbare positive Heimat- und Familiengefühle sind zu einer knappen Ressource geworden. Die Ausgangspunkte für positive, schöpferische Übertragungen als solche sind bereits kompromittiert, schon die Mutter-Kind-Symbiosen sind „kontaminiert“, die familialen Schutzräume, die Vertrautheitsbiotope schrumpfen.
Die Kinderkrippe als Institution kann das nur zum kleineren Teil auffangen. Es kommt deshalb zunehmend zu Raumstress-Symptomen im öffentlichen Raum. Mit Ordnungsvorgaben und einzuhaltenden Regeln allein kommt frau da nicht weit, egal wie groß die Strafe ist, die bei Nichteinhaltung droht.
Dass das einen Grundton kindlicher Angst auf den Plan ruft, ist gewiss, auch wenn sie nicht geäußert und ausgedrückt werden kann. Die Raumstress-Symptome haben so gut wie immer die Form von Zugehörigkeitsstörungen. Die losgerissenen Einzelnen wissen nicht mehr, wie und wo sie zugeordnet sind, mit wem sie zusammengehören, in welchen Formaten sie kommunizieren, was sie konvertieren können und was nicht. Sie wissen nicht mehr, wer sie selbst sind und wer die anderen sind - und sie können es nicht wissen - denn solches Wissen entsteht wie „sphärologisch“ gezeigt wurde, immer nur dort, wo hinreichend gute Primärsphären gedeihen, von denen aus Übertragungen ins Weitere ohne Selbstverlustangst geschehen können.
Die kleinen Kinder zwischen 0-3 Jahren sind hier noch mehr als bedürftig und unbedingt auf Milieus angewiesen, die den Urgrund, die intimen Beziehungen zur Reifung, zur Verfügung stellen. Nur auf einem solchen, vorbereiteten Boden kann Vertrauen wachsen und eine tiefe Vertrauensbasis sich bilden.

Aus elterlicher Sicht

Herausforderung, das Kind in „fremde Hände“ zu geben Teilen der Verantwortung, Betonung der vertrauensbildenden Maßnahmen der Leitung: Was kann die Leitung tun, damit die Eltern ihr, ihrem Team und der Einrichtung vertrauen

Elterliche Angst und elterliches Misstrauen als adäquater Ausgangspunkt

Jeder Naturfilm über Tiere zeigt uns, dass Jungtiere niemals die Herde verlassen dürfen, sonst sind sie in Gefahr. In der Regel bleiben sie in der Nähe des Muttertieres und das Muttertier bleibt in der Nähe der Herde. Jedes Muttertier weiß, dass das Verlassen der Herde auch für das ausgewachsene Tier in der Natur Gefahr bedeutet. Erst recht versucht sie instinktiv ihr Junges dadurch zu schützen, dass sie es in ihrer Nähe hält und in großer Wachsamkeit darauf achtet, dass sich das Junge nicht in Gefahr durch Vereinzelung begibt.
Nehmen wir die Situation im Tierreich als Ausgangspunkt für uns Menschen, so ist es also ganz richtig, dass eine Mutter, aus der das Kind ja kommt, dasselbe zunächst in ihrem Nahraum hält, um es versorgen und um es im Auge behalten zu können.
Diese Grundbewegung ist sicher bis ins zweite oder dritte Lebensjahr angemessen und überlebenswichtig. Als soziale Wesen können wir Menschen allerdings den "Arm" verlängern bzw. den Raum öffnen, indem jemand anderes, Vertrautes für die Mutter diese Aufgabe wahrnimmt. Dabei wird die Mutter jedoch nicht ganz aus ihrer Aufgabe entlassen. Es bleibt in ihrer Verantwortung, das Kind in seiner Befindlichkeit vor und nach dem Abgeben wahrzunehmen und daraus Schlüsse im Hinblick auf die Vertrauensfrage zu ziehen.
Ist es nicht auch für die Kinderkrippe gut, wenn die Mutter dies mit wacher und begleitender Aufmerksamkeit tut und zumindest, statt selbst da zu sein, den für das Kind gestalteten Raum in begleitender Mitverantwortung hält? Wer ist die, der sie ihr Kind anvertraut? Was hat sie für Werte? Kann sie diese Werte authentisch ins Leben hinein gestalten? Kann sie sich darauf verlassen, dass sie sie über außergewöhnliche, das Kind stark berührende Situationen informiert und sie daran teilhaben lässt? Hat sie Herzenswärme und ist es ihr möglich, durch ihre Person ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu vermitteln? Nimmt die Mutter die für ihr Kind verantwortliche Erzieherin als "ihr und dem Kind gut gesinnt" wahr oder weckt sie in ihr Gefühle der Ablehnung und des Zweifels? Findet die Mutter ein inneres Ja oder stellt sich ein inneres Nein ein? Und woran liegt das?
Weckt die Erzieherin in ihr Erinnerungen an Personen, die sie als ihr nicht wohlgesonnen erlebt hat oder ist das Auftreten der Erzieherin und ihre Beziehungsaufnahme auf so wackelige Beine gestellt, dass die Mutter tatsächlich an ihrer Eignung zweifeln muss?
Wer sein Kind abgibt, muss dem Milieu, in das hinein abgegeben wird, vertrauen.
Was können die Eltern dafür tun, dass sich Vertrauen zur verantwortlichen Erzieherin/zur Einrichtung herstellt?

Erzieherinnen können diesen Prozess durch den Blick auf Folgendes unterstützen:

Hilfreich ist mit Sicherheit, wenn die Eltern wahrnehmen können, dass das Kind voller Vertrauen auf die Erzieherin zugeht.
Außerdem braucht es Vertrauen der Eltern in das Kind und seine Kompetenzen, Herausforderungen und entstehende Situationen im Guten bewältigen zu können. Blindes Vertrauen ohne Überprüfung, ohne waches Mitdenken und Mitbegleiten wäre blauäugig und unverantwortlich. Denn das Kind selbst kann noch nicht über das sprechen, was ihm widerfährt oder widerfahren ist.
Allein über Befindlichkeitsauffälligkeiten bzw. -besonderheiten, die die Eltern am Kind beim Abholen wahrnehmen, ist es möglich, in den Kontakt mit den Erzieherinnen zu gehen und nachzufragen, was heute denn besonderes los war. Noch besser ist es, wenn die Erzieherinnen das von sich selbst aus tun. Es braucht die Sprachbegleitung der Eltern und der Erzieherinnen und den Austausch beider Gruppen, um die subjektiv erlebte und real sich ereignende Welt des Kindes in die Sprache zu bringen und das kindliche Erleben mit dem gefühlten und gedachten Wissen der Eltern zu verzahnen. So erst wird die kindliche Welt zu einer greifbaren und damit auch korrigierbaren Wirklichkeit.
Mit dem Abgeben des Kindes hört also die Verantwortlichkeit der Eltern nicht auf, sondern findet eine neue Stufe.
Erzieherinnen empfinden nicht selten die Verantwortungsübernahme der Eltern durch Nachfragen als gegen sie gerichtet und als Misstrauensbekundung. Hier können sie sehr viel für den vertrauensvollen Kontakt zu den Eltern tun, indem sie deren Mitdenken würdigen und sich dafür bedanken.
Wir Menschenkinder sind als Neugeborene schutzlos ausgeliefert und können nichts zu unserem Schutz beitragen. Wir brauchen eine Mutter und einen Vater, die uns aufnehmen, die für uns sorgen, die uns nicht aus dem Auge lassen. Oder wir brauchen Stellvertreterinnen für sie, die aber unter Beweis gestellt haben, dass sie vertrauenswürdig sind. Diese Überprüfung müssen sie sich schon gefallen lassen, bei der großen Verantwortung, die sie übertragen bekommen. Natürlich können beide Seiten, die die abgibt und die die übernimmt, vieles dazu beitragen, dass Vertrauen gestärkt wird und Misstrauen zurückweichen kann…….
Einen Menschen abfühlen, ihn einschätzen lernen, eigene Zweifel an ihm abarbeiten, all das tut der Mensch, wenn er einen potentiellen Partner kennen lernt, warum sollte die Mutter das nicht auch für ihr Kind tun, das vielleicht noch gar nicht sprechen kann, das noch keine Vergleiche hat und deshalb gar nicht weiß, was richtig und was falsch ist, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. Ein solches Selbstgefühl, das ihm Orientierung gibt, und ihm sagt, wie es sich verhalten soll, ein solcher Kompass, der dem eigenen Schutz dient, wächst erst mit der Zeit, mit zunehmender Lebenserfahrung.
Vertrauen entwickelt sich aus den vielen kleinen Gesten im Alltag. Vertrauen hat etwas zu tun mit Verlässlichkeit, aber auch mit Berechenbarkeit. Vertrauen braucht Menschen, die authentisch sind, die so sind, wie sie sich geben und die sich auch transparent machen. Deren Alltagshandeln und deren Ideale kongruent sind. Je wahrhaftiger sie von uns erlebt werden, desto eher können wir als Eltern überlassen.
Jeder von uns hat Erfahrungen gemacht, die wenig erquicklich waren, die wir als negativ verbucht haben, auch können Erzieherinnen Eltern an Personen erinnern, mit denen es nicht gut geklappt hat und Vertrauen im Nachhinein falsch war. Wird eine entsprechende Erinnerung über eine Erzieherin „getriggert“, muss ganz offen diese Erinnerung bearbeitet werden, das geht nicht ohne Geduld und die Erfahrung, dass die Erzieherin ja doch nicht so ist wie die Person X damals.
Das Gefühl von Konkurrenz kann sich in den Weg stellen. Die wichtige Botschaft hier könnte ungefähr so lauten: "Auch wenn ich mich mit deinem Kind im Kindergarten gut verstehe, heißt das nicht, dass ich dir die Rolle als Mutter streitig machen will und ich will dir auch nicht damit sagen, dass ich die bessere Mutter wäre. Bitte vertraue mir. Über mich als weitere Bezugsperson eröffnet sich deinem Kind eine neue Welt und mit jeder neuen Welt kann dein Kind bisherige Erfahrungen relativieren. Das hilft ihm, die Welt realistisch einzuschätzen, das ändert aber gar nichts an der Bindung, die es mit dir eingegangen ist als Mutter."
Die Institution als solche ist kein Vertrauensraum, sondern ein Regelungsraum.
Sie alle haben schon davon gelesen, dass Menschen am falschen Bein operiert wurden, dass Kinder aus der Klinik verschwanden usw. Transparenz ist deshalb ganz wichtig, damit Eltern spürbar begreifen können, dass in Ihrer Einrichtung nicht verwaltet wird, sondern Kindern hinterher gespürt wird.
Alle Eltern wissen das, dass man unter Stress manchmal Dinge tut, ausspricht, für die man sich hinterher ohrfeigen könnte und die überhaupt nicht mit den Werten übereinstimmen, die sie leben wollen. Natürlich erwarten Eltern von Erzieherinnen eine gewisse Professionalität, aber sie wissen auch, dass sie diese nicht davor schützt, auch einmal Fehler zu machen.
Je offener Sie die Prozesse in der Kinderkrippe machen, je mehr Sie die Eltern daran teilhaben lassen, um welche Themen Sie in der Kita gerade ringen, desto mehr vertrauen sie Ihnen. Wer teilhaben kann, kann mitdenken und sich mit einbringen, er kann begleitende Mitverantwortung tragen. Wollen wir das nicht alle, dass unsere Kita-Eltern das tun? Nur so weit wie Eltern ihre Angst verlieren und ihr Kind im Vertrauen überlassen können, nur soweit ist das Kind auch frei, keine elterlich delegierte Angst mehr haben zu müssen und kann sich somit fallen lassen und anvertrauen. Die Aufgabe der Leitung ist es, diese beschriebenen Prozesse zu begleiten und natürlich auch mitzuwirken und Impulse zu setzen.

Jeder Schritt in die Autonomie ist ein Kraftakt und will vom Kind her entdeckt, initiiert und gestaltet werden

Das erste Zufüttern schafft Autonomie für Mutter und Kind, nach Gegenständen greifen, sie in den Mund nehmen, sie ergreifen und begreifen, sie weglegen und wieder aufnehmen, Interesse für sie haben und die Aufmerksamkeit abziehen, ist ein selbstgestalteter Prozess des Verlorengebens und Wiederfindens bzw. Neuentdeckens.
Gegenstände aus dem Kinderwagen werfen, sie wieder gereicht bekommen, aus den Augen aus dem Sinn und wieder im Sinn. Es entsteht wiederkehrende Kontinuität, wie mit der Mutter, nur selbst gestaltet und erprobt. Darum herum betten sich vielerlei Gefühle, Trauer, Wut, auch Angst mitunter, wo ist das, was ich wiedererwarte, warum kommt es nicht zurück?
Laufen lernen, Gleichgewicht halten, übermütig losspringen, wegspringen, plötzliche Einsicht: oh je, wer wegläuft, kann auch verloren gehen. Und plötzlich weicht das Kind nicht mehr vom Rockschoß der Mutter. Zwei Schritte vor und einer zurück. Entwicklung ist Bewegung, gewünscht nach vorne, manchmal geht sie auch rückwärts. Wie gut, dass die Mutter immer noch da ist, zu ihr kehrt das Kind im ersten Schrecken zurück.
Wir können bei jedem Kind folgendes beobachten:
In den Momenten, in denen die Autonomiebestrebungen Vorrang haben, wird die Mutter fast vergessen, wenn sie nur im Hintergrund da ist. Überfordert sich das Kind, stößt es auf eine den bisherigen Handlungsraum sprengende Einsicht, wird es vielleicht von Angstgefühlen überfallen und es flieht zurück in die Körpernähe der Mutter und sucht dort Trost. Dieses von der Mutter weg und wieder zur Mutter hin, ist ein Rhythmus, den das Kind lange begleitet. Auch im Kindergarten soll es jemand Besonderen geben, der diese Aufgabe übernehmen kann. Der das Kind sieht, ihm Mut zuspricht, es anfeuert, es tröstet, es bei sich ausruhen und neue Kraft tanken lässt. „Schau mal, wie ich rutschen kann! Wie großartig ich bin! Was ich mich alles traue!“ „Aber sei bitte auch da, wenn ich Angst vor der eigenen Courage bekomme, wenn ich zurückweiche, wenn ich am liebsten wieder in dich zurückkriechen will und mich dort vor der Welt schützen möchte!“

Erziehung bedeutet demnach, kindgerechte Erfahrungsräume für das Kind vorzubereiten, in denen es die Erfahrungen machen kann, die es für seine Entwicklung gerade braucht. Jedes Alter hat seine Entwicklungsbedürfnisse, die genährt werden wollen. Erzieherinnen wollen das Kind auf seinem Weg zur Eroberung der Welt anregen, begleiten und fördern, auf seine Entwicklungsbedürfnisse und wachsenden Fähigkeiten eingehen und das Kind selbst mit allen Sinnen ausprobieren und entdecken lassen. Eine sichere Basis dafür ist, dass sich das Kind aufgehoben und wohl fühlt. Dafür braucht es eine feste Bezugsperson. Entwicklung findet im Dialog mit sich selbst, aber vor allen Dingen mit Anderen, vornehmlich mit festen Bezugspersonen, die das Vertrauen des Kindes erworben haben, statt.
Erzieherinnen sollte es daher wichtig sein, dem Kind durch eine liebevolle, verlässliche und damit sichere Umgebung die erste Ablösung von den Eltern zu erleichtern, sich so auf eine neue Bezugsperson einlassen und mit vielen neuen Kindern zusammen sein zu können. Vertraute, sich wiederholende Tagesabläufe bieten dem Kind Sicherheit, Halt, Schutz und Orientierung.
Wenn ein Krippenkind in die Kita eingewöhnt wird, ist dies für das Kind und für die Eltern ein sehr großer, manchmal auch emotional sehr belastender Schritt. Neben der sicheren und vertrauensvollen Bindung, die das Kind zu seinen Eltern aufgebaut hat, soll es nun eine neue Bindung zur Eingewöhnungserzieherin eingehen. Das ist eine große Herausforderung, für das Kind und die Eltern. Bisher waren Mama oder Papa immer in seiner unmittelbaren Nähe und haben für Sicherheit und Rückhalt gesorgt. Jetzt soll sich das Kind oft zum ersten Mal von den Eltern lösen. Alles ist neu: die Räume, die anderen Kinder, die Erzieherinnen, das Spielzeug, die Umgebung. Weil Erzieherinnen sich der immensen Bedeutung dieses Schrittes bewusst sind, planen sie die Eingewöhnungsphase in Abstimmung mit den Eltern gewissenhaft und tragen Sorge für ihr Gelingen, nur so entwickelt sich Vertrauen.
Kinder freuen sich nach einer gewissen Eingewöhnungszeit darauf, mit ihren Erzieherinnen zusammen zu sein, lassen sich gerne auf sie ein, haben Freude am körperlichen Kontakt und suchen oft den Blickkontakt, wenn sie unsicher sind und sich rückversichern wollen. Auch zur Bezugserzieherin entsteht Bindung. Damit so eine Bindung entstehen kann, muss aber viel Zeit für die Zuwendung sein, die jedes einzelne Kind in ganz unterschiedlichen Situationen auch ganz unterschiedlich braucht. Alles andere bedeutet für das Kind Stress. Es wäre beispielsweise falsch zu glauben, mit einem einjährigen Kind müsse man nicht kommunizieren, weil es ja ohnehin noch nicht gut sprechen kann.

Dass vertraute Erwachsene die Dinge benennen und kommentieren, ist für Kleinkinder wichtig. Sie erlernen dadurch nicht nur die Sprache und die vielen unterschiedlichen Laute. Dadurch werden für Kinder viele Dinge erst verständlich, die ihr späteres Denken prägen. Was versprachlicht werden kann, von ihnen selbst oder von den Erwachsenen, verliert die Angst und wird (be-)greifbar. Eine Erzieherin sollte sich nicht um mehr als drei oder vier Kleinkinder gleichzeitig kümmern müssen. Dabei sollten sich die Kitas auf eine Erziehungspartnerschaft mit den Eltern einlassen und den Austausch suchen. Das ist der wichtigste Faktor für den Erfolg. Erfolg bedeutet auch, ein Hineinfinden ohne allzu viel Angst, vielmehr mit ganz viel Vertrauen. Eltern sollten darum bitten, Ihr Kind wenigstens während der ersten 10-14 Tage begleiten zu dürfen. Das haben schlechte Einrichtungen nicht gern.
Manchmal ist eine Unterbringung ab dem ersten halben Jahr nötig. Denken Sie jedoch daran, das entspricht keinesfalls den Bedürfnissen des Kindes. Das Baby ist körperlich noch gar nicht dahin gereift, dass es von der Mutter weggehen möchte. Es kann noch gar nicht laufen. Warum sollte es das also wollen, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist? Robustere Naturen können unter guten Umständen damit fertig werden, aber sie jagen dann ihrer Reifung hinterher, um die Anforderung aufzuholen, für die sie noch nicht gerüstet waren. Die Übersetzungsarbeit in den größeren gesellschaftlichen Bezugsrahmen, wie alles mit allem zusammenhängt und vorbereitend notwendig ist, ist ebenfalls Aufgabe der Leitung.

Aus Team-Sicht

Neue, brauchbare, praxisnahe Strategien und Haltungen zum Umgang im Miteinander vermitteln, Erfahren von hilfreichem Führen

Ich gehe davon aus, dass Erzieherinnen ein Interesse daran haben, dass ihnen, einzeln und im Team, die Eltern, die ihre Kinder in ihre Einrichtung geben, vertrauen. Ich selbst als Autor erfahre tagtäglich in meiner psychotherapeutischen Praxis, dass Menschen, die sich selbst unsicher fühlen bzw. ein schwaches Selbstgefühl ausgebildet haben, in der Regel wenig Vertrauen in sich, in Andere und das Leben haben. Je selbstunsicherer sich jemand fühlt, desto mehr misstraut dieser Mensch, kann nicht für sich einstehen und alles im Außen fühlt sich für ihn wie eine Bedrohung oder oft falsch an. Aus dieser alltäglich gewonnenen Erfahrung heraus leite ich die Hypothese ab, dass es den Erzieherinnen im Kita-Alltag um Stärkung der Eltern gehen sollte, wenn sie eine Vertiefung der Vertrauensbasis mit ihren Eltern anstreben. Auch scheinbar starke und selbstbewusste Eltern sind oft hilfsbedürftig, lassen Sie sich also nicht von dem angelegten Kleid blenden, wenn es nicht aus der eigenen Mitte kommt!

Hilfreich für die Eltern, bei denen ein vorwiegendes Gefühl von Unsicherheit und Beziehungsstörung vorliegt, ist es, sie in ihrem Selbstvertrauen, in ihrem Vertrauen in sich selbst also, zu stärken. Vertrauen in sich selbst, ist die Voraussetzung dafür, dass man in Andere Vertrauen setzen kann. Erzieherinnen schaffen in der Art, wie sie sich selbst als Team und als Person präsentieren, wenn sie im Spannungsfeld von Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten versuchen, einen Weg zu finden, nicht nur Vertrauen, sondern werden auch zu einem Modell, das zuhause als Familienmodell übernommen werden kann.
Wenn wir das konsequent weiter denken, bedeutet das: Wenn Erzieherinnen einen guten Klang im kollegialen Miteinander pflegen, wenn Vertrauen die Grundlage untereinander bildet, wenn sie vertrauensvoll aufeinander zugehen und nach Verständnis suchen, wenn auf der Grundlage der gewachsenen Vertrautheit im Team die Gewissheit lebt, dass Konflikte und Krisen erfolgreich überstanden werden können, dann hat das katalysatorische Wirkung auf Eltern und Kinder.

Dann wird das Team der Erzieherinnen von außen, aber auch von innen (von den Erzieherinnen selbst her) als auf Vertrauen basierende und am Vertrauen wirkende Arbeitsgemeinschaft empfunden. Und damit ist dieser gemeinsame Zusammenhang auch vom Vertrauen ins Leben getragen, was letztendlich noch viel wichtiger ist.
Hintergründige Bausteine für das Schaffen einer solchen Grundatmosphäre im Team sind: Zulassen von Unterschiedlichkeit, das Ringen um Verständnis in der Unterschiedlichkeit, das Pflegen von Gemeinsamem, Gemeinsinn und Gemeinschaft, sowie Eigenschaften wie Offenheit, Optimismus, Einsatzbereitschaft, Mitgefühl, Güte, Fairness, Demut, Selbstbewusstsein, eine kooperative Grundbereitschaft, Bereitschaft zur Klärung, der Glaube an ein gemeinsam zu erreichendes und zu erhaltendes Ziel - in diesem Fall eine Kita, die auf Vertrauen gründet -, die Bereitschaft sich hinterfragen zu lassen, sowie nicht zuletzt die Arbeit an der Grundgewissheit, dass die anderen Teammitglieder es gut mit mir und den gemeinsamen Zielen meinen. Maßstab allen gemeinsamen Ringens kann nicht ausschließlich die Frage sein, ob jemand von der Norm abweicht oder nicht, sondern muss das Erleben und Erlauben von Abweichung, Vielfalt und Individualität sein, auf der Grundlage fühlbarer Beziehung. Das ist nichts anderes als das, was Inklusion als Haltung meint.

Daneben braucht es eine Verbindlichkeit gegenüber erarbeiteten Absprachen. Die Absprachen dürfen dabei aber nicht zum Gesetz werden, das dann als Bumerang zurückschlägt und die Regel über die beteiligten Menschen stellt. Vielmehr müssen sich die Absprachen situationsgemäß verflüssigen und sich entsprechend der Jetzt-Zeit-Anforderungen neu gestalten, ohne dabei die geistige Haltung der vorab tragenden Absprache zu verlieren.
Jede Erzieherin sollte das Gefühl von eigener Wirkmächtigkeit haben, an der (Absprachen-)Schraube aufgrund eigener Initiativkraft und gefühlter Notwendigkeit drehen zu können. Das heißt, jedes Teammitglied muss sich in vollem Umfang von den Anderen ernst genommen und gehört fühlen und das Vertrauen haben, dass das auch in der Zukunft so bleibt. Hier lässt sich aus der Gemeinschaftserfahrung im Team ableiten und vorleben, dass familiäres Zusammenleben Vertrauen voraussetzt. Wir alle wollen dahingehend in unser Miteinander "hineinvertrauen" können, dass jede ihren bestmöglichen Teil beiträgt, damit Kooperation aktiv gelingen kann.
Wir müssen den Anderen nicht völlig oder blind vertrauen, aber wir wollen uns einigermaßen sicher in der Vorstellung fühlen, dass unser Vorschussvertrauen begründet ist und dass die Anderen sich auch in der Zukunft als vertrauenswürdig erweisen werden. Nur wer daran glauben kann, kann es letztendlich auch zur Verwirklichung bringen.
So betrachtet ist Vertrauen auch eine Frage der Gewohnheit. Wenn Vertrauen nicht mehr ausreichend erfahrbar ist, hören die Menschen auf, einander zu vertrauen. Es liegt also im höchsten Interesse der Erzieherinnen, die Vertrauensgrundlage vorzuleben, sie zu erhalten, zu verbessern und auszubauen. Deshalb ist es auch erforderlich, dass dem Verhalten Einzelner Grenzen gesetzt werden, um die Gemeinschaft stabil zu halten.
In dieser Sache ist es ganz unglaublich wichtig, dass wir nicht nur unterscheiden zwischen richtigem und falschem Verhalten und dasselbe durch Bewertung und Bloßstellen ächten und sanktionieren. Es gilt vielmehr, die dahinter liegenden Beweggründe für auftretendes Verhalten zu verstehen, das Verstehen zu spiegeln, die aus dem Verhalten entstehenden Probleme zu thematisieren, aber nicht die verhaltensdurchführende Person zum Problem zu machen, sondern sie einzuladen zu einem neuen Weg, verbunden vielleicht auch mit einer persönlichen Bitte oder einem direkten Wunsch, der ebenfalls ausleuchtet, warum es schwer fällt, mit dem Verhalten umzugehen, und warum es unhaltbar erscheint, dieses erlebte Verhalten beizubehalten.

Das heißt, es geht für die Leitung nicht nur darum, durch Sanktionen und Angsterzeugung, durch Macht und Erpressung, Kinder und Eltern oder auch das Team auf der "geraden Straße" zu halten, sondern es geht vor allem darum, das zur Verfügung zu stellen, was sie jeweils brauchen, damit sie sich mit Freude auf ein anderes Verhalten einlassen können. Eine Kultur der Anerkennung, die jedes Verhalten würdigt, das gut gemeint ist, auch wenn es vielleicht das Gegenteil bewirkt, ist ein wesentlicher Grundbaustein für Vertrauensbildung. Eine Erzieherin, die den Teller des Kindes auf den Boden stellt, mit der Erklärung, dass wer wie ein Schwein isst, auch auf der Ebene des Schweines essen soll, ist zunächst untragbar mit ihrem Verhalten. Letztendlich äußert sich aber in ihrem Versuch ihre Hilflosigkeit und Ohnmacht, dem Kind einen Weg zu zeigen und zu eröffnen, der ihm ermöglicht, sich den akzeptablen und von den Anderen akzeptierten Essgewohnheiten anzunähern. Ihr Wollen mag ein durchaus gutes Wollen sein, in seiner Umsetzung jedoch beschädigt und entwürdigt sie das Kind und verstärkt Widerstand und Verweigerung. In dem Versuch liegt auch die Qualität einer plattmachenden Dampfwalze, die nicht wissen will, was in dem zu formenden "Teer" vielleicht sonst noch für Stoffe enthalten sind, die das Glatt machen verhindern. Sprich, sie erschließt sich nicht, was das Kind denkt, fühlt usw. Vielleicht wären eine etwas lockerere Atmosphäre und die Einladung zu spaßhafter Ausgelassenheit vor dem Essen zum Herunterkommen schon ausreichend gewesen, um die Bereitschaft des Kindes zu wecken, sich in die Ablaufsituation des Essens einzufädeln.
Vielleicht hätte auch ein Essensspruch mit Bewegungsritualen bereits dazu beigetragen, dem Kind in die Essenssituation hineinzuhelfen. Vielleicht hat das Kind aber auch eine Körperbildstörung, kennt von dorther seine Körperfunktionen nicht, kann sie deshalb auch nicht gezielt einsetzen und den Ablauf des Essens mit Besteck in seinem Handeln entweder nicht vorplanen oder eben nicht abbilden. Es lohnt sich also immer nach Zugängen und Hintergründen zu fragen, um das Vertrauen in das Kind wieder herzustellen. Kinder wollen von Geburt an kooperativ sein, darauf dürfen wir vertrauen. Wenn dies nicht gelingt und sich ihr Verhalten als Widerständigkeit äußert, dürfen wir sicher sein, dass es dahinter etwas zu entdecken gibt.
Das Gleiche gilt für die Erzieherin. Vielleicht hat sie sich innerlich unter Druck gefühlt oder ist schon gestresst in die Einrichtung gekommen, hatte vielleicht mehrmals schon an diesem Tag das Gefühl, dass ihr die gewünschte „Ordnung“ aus dem Ruder läuft. Es ist wichtig, als Team in dem Vertrauen zu bleiben, dass die Kollegin es auch im Sinne des Kindes gut machen wollte, das Kind stärken und es nicht schwächen wollte. Ins Urteil zu gehen, würde das Gefühl von Gesichtsverlust auf den Plan rufen und Abwehr als Haltung zementieren. Ihr andere Handlungswege und entspanntere, Zugang suchende, Haltungen zu eröffnen und dabei gleichzeitig im Verstehen auch für die beteiligte Kollegin zu bleiben, würde das Vertrauen im Team auf der Wurzelebene gelebter Werte stärken. Denn es wird sichtbar, wir reagieren auf die Kollegin mit eben jenem Verständnis, das wir in der Beziehung zum Kind auch gerne gesehen hätten.
Natürlich gibt es in allen Organisationen und Systemen, in denen die Menschen aufeinander angewiesen sind, Einzelne, die versuchen, das System, oder besser die Gemeinschaft, für ihre eigenen Interessen zu nutzen, weil sie es nicht besser kennen gelernt und erfahren haben. Sie untergraben und unterlaufen das Ganze, wie die Bandwürmer unser Verdauungssystem. Für solche Situationen ist es wichtig, nicht nur zu beschuldigen, sondern sich um der gemeinsamen Sache willen, auch einmal klar und streng zu positionieren, um den Gesamtrahmen im Vertrauen und im Vertrauensvorschuss für das Ganze zu halten.
Konformität, die Abweichungen ausschließt, kann allerdings nicht die Antwort sein. Manchmal können Innovationen oder notwendige Veränderungen nur angestoßen werden, wenn für einen Moment auch einmal Vertrauensgrundlagen verletzt oder in Frage gestellt werden. Je mehr Vertrauen in der Luft liegt, je mehr wir durch unser Verhalten zur Vertrauensbildung beitragen, desto gesünder und teamgerechter kann unsere kleine Teamgemeinschaft handeln und sich entwickeln.

Die gesellschaftlichen Druckmechanismen sollten nicht aus unbewusster Haltung heraus eingesetzt werden. Moralischer Druck, der in Angst versetzt, als schlechte Eltern zu gelten, macht eng, spannt an und kann keinesfalls in kindorientierte Elternantworten führen. Dasselbe gilt für den Kolleginnenkreis.
Reputationsdruck der Eltern in Richtung der Erzieherinnen, die bis hin zu Rufmord eskalieren können, erzeugen ebenfalls Ängste, diesmal auf Seiten der Erzieherinnen, schaffen öffentliche Zweifel an ihrer Fachlichkeit und diskreditieren sie als Person in einer Weise, die Vertrauen nicht mehr zulässt.

Institutioneller Druck wirkt auf alle Kräfte der Kita-Gemeinschaft. Jede Institution hat Regeln und Gesetze. Diese veranlassen Menschen, sich entsprechend der festgelegten Gruppennormen zu verhalten, indem sie mit der Strafe gegenüber denjenigen Menschen drohen, die Normverstöße begehen und diejenigen belohnen, die sich daran halten. Die Gefahr ist groß, dass mit einem solchen Instrument - wenn es zu starr wird und die Menschen nicht einbindet - notwendige Veränderungen zum Wohle aller von keiner Seite her angestoßen werden können und so der Vertrauensraum, der eigentlich geschützt werden soll, genau durch dieses Schutzinstrument verursacht, verloren geht. Wie gut, dass die Leitung zu all diesen Prozessen auch immer wieder Abstand nehmen kann und reflektierend feststekllen kann, ob alles noch in einem Raum der Verbundenheit und des Verständnisses füreinander stattfindet.

Die größte unterstützende Kraft einer Gemeinschaft, die sich auf der Basis von Vertrauen begegnen möchte, liegt darin, Gemeinschaft und Vertrauen zu pflegen, ohne Not und mit Freude und Spaß, in lebendiger Beziehung und bezogener Verbindlichkeit. Ein solches vertrauensvolles Hineingeben erfordert Mut, weil alles Miteinander sich erst im Moment der Begegnung entwickelt und gestaltet.
Im Gegensatz zu sachlichem Wissen, findet dieses Aufeinander-zu in Hingabe nicht auf festem Boden statt, kann aber in der Kontinuität von wiederholtem Erleben doch die innere Sicherheit begründen, dass auch dieser "schwimmende" Boden trägt. Von einem solchen Boden getragen, ist eine Gemeinschaft verschiedenartiger Individuen in der Lage, den Glauben an die Richtigkeit von Vertrauenspflege auch in Zeiten von Irritationen, Kränkungen, Missverständnissen oder gar Zerwürfnissen aufrechtzuerhalten.
Mit Verständnis und Mitgefühl, auf der Grundlage von konstruktivem Austausch und dem gemeinsam getragenen Wollen, ist es möglich, das Vertrauen schmälernde Vorgehen auszuräumen. Auf dieser Basis können auch stehen bleibende Gegensätze in Wertschätzung und Vertrauen ihren je eigenen Weg finden.
Grundsätzlich gilt also, dass nur dort, wo echte Beziehung angeboten wird, wo wir Menschen uns wirklich aufeinander einlassen, Vertrauen entstehen kann.
Denn der Schlüssel zu den Entscheidungen, die der einzelne Mensch trifft, liegt in seinem Selbstverständnis. Das gründet darauf, was er schon in seiner Geschichte erlebt hat, was er daraus für Schlüsse gezogen hat, wie er sich selbst sieht, wie er sich versteht, wer er glaubt zu sein und wie er von sich selbst denkt. Seine Identität und seine Normen sind grundlegende Motivationen.

Die Wirtschaftswissenschaften nennen das Identitätsökonomie. Nur, wenn wir uns damit gegenseitig verbinden können und aus dem Verstehen der Anderen heraus zu Veränderung oder zu neuen Sichtweisen einladen können, kann darauf gesunder und tragender Vertrauensboden entstehen.
Umgekehrt kann auf das Verhalten des einzelnen Menschen, der aus seiner Identitätsökonomie schöpft, eine gemeinsam geschaffene Team-Identität sehr stark einwirken. Teamgeist sorgt für Zusammenhalt, für die Einhaltung von Regeln, erzeugt Motivation und Leidenschaft. Die Einzelne zieht einen großen emotionalen Gewinn daraus, dass sie zum Team gehört. Dafür folgt sie den gemeinsam entwickelten und ungeschriebenen Regeln des Teams. Gemeinsame Ziele gewinnen an Bedeutung für die Einzelne.
So entsteht Team-Energie, denn gemeinsame Ziele wirken als Brennstoff. Wer hat nicht schon einmal erlebt, wie viel Freude und Energie gemeinsames Arbeiten schaffen kann!
Diese Energie kann auch Ihr Team erleben. Voraussetzung dafür ist, dass Sie einen Team-Geist geschaffen haben, und dass es ein sinnvolles, gemeinsames Ziel gibt. Hier ist eine Leiterin gefragt, die immer wieder Impulse in diese Richtung einspeist oder Einladungen auslegt. Eine Leiterin kann auseinander-fallende Bewegungen immer wieder zusammenführen und das Team zu Suchbewegungen einladen, die das Feld nach Lösungsgestalten abspüren, in denen sich jedes Teammitglied wiederfinden kann mit seiner Position. Sie kann im besten Fall initiierender Katalysator für die beschriebenen Prozesse sein.

Wo die Besonderheiten und die Einzigartigkeiten von Menschen auf Annahme und Anerkennung stoßen, entfalten sich die Menschen wie von selbst und kommen zu ihrer vollen Blüte. Es findet Heilung statt. Wo frau das Menschliche verleugnet, verkümmern diese individuellen Schätze und mit ihnen auch die Menschen.
Jede Einzelne von uns hat ihren Wesenston. Deshalb lohnt es sich, sich gegenseitig im Team zu unterstützen. So kann der Wesenston jedes Teammitglieds seinen vollen Klang entfalten. Denn nur Töne, die sich in ihrer Fülle ausbreiten dürfen, können mit anderen Tönen zusammen schwingen und das bilden, was wir einen Klangteppich nennen. Wir dürfen sicher sein, dass ein solcher Klangteppich wie von selbst auch einen Vertrauensteppich webt.
Klang öffnet einen großen Raum, in dem alle Menschen sich bewegen, in dem sie frei und tief verbunden sind. Klang ist der Ursprung aller Sprachen und der Musik, die uns alle eint. Durch den Klang erfahren wir Resonanz und im Tönen erfahren wir Verbindung und Zusammengehörigkeit. Wir schwingen uns aufeinander ein und bilden eine Art „Klanggroßkörper“. In diesem Sinne ist Klang der größte Geist hinter den Dingen. Teamgeist und „Teamspirit“ haben etwas mit Klang und gelebter Spiritualität zu tun.

Mit dem Begriff Spiritualität bezeichne ich eine nach Sinn und Bedeutung suchende Lebenseinstellung, bei der sich die Suchende eines Ursprungs bewusst ist, aus dem heraus sie sich mit allem Lebendigen verbunden fühlt und der größer ist als sie selbst und weit über sie hinausreicht. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensführung, das Arbeitsverständnis und die ethischen Vorstellungen.
Daraus ergibt sich das Bemühen um Umsetzung des vorgestellten Idealbildes von einem spirituell verbundenen Leben, das alles Lebendige heiligt und anerkennt - gerade auch in seinem unwillkürlichen Bemühen um Entwicklung.
Die Grundhaltung ist also nicht Ego-zentriert oder Scheuklappen-orientiert. Der „Blickwinkel“ ist eindeutig auf ein transzendentes „Zentrum“ gerichtet. Die transpersonale Psychologie versteht Spiritualität als die Wahrnehmung der Einheit der verschiedenen Wirklichkeiten in der einen Wirklichkeit und das Anerkennen des Geistigen als Realität hinter den alltäglichen Dingen.
In den letzten Jahren wird der Begriff auch ohne Gottes- oder Transzendenzbezug aufgefasst. Werte wie Gerechtigkeit, Mitgefühl, Liebe, Demokratie und Menschenrechte können alle, ob Gottgläubige, Agnostiker oder Atheisten vereinen, ohne einander missionieren zu wollen.
Ähnlich formuliert es auch der Dalai Lama, der als Wurzel von Spiritualität die grundlegenden menschlichen Werte der Güte, der Freundlichkeit, des Mitgefühls und der liebevollen Zuwendung benennt. Insoweit könnte man von einer humanistischen Spiritualität sprechen, die darauf ausgerichtet ist, die Werte des Humanismus zur eigenen Lebenswirklichkeit werden zu lassen.
Daraus ergibt sich folgerichtig eine ethische Lebenseinstellung, die dem Prinzip der unbedingten Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit gegenüber sich selbst folgt, um Irrtum und Selbsttäuschungen zu vermeiden. Ein so entwickeltes Vertrauen schöpft aus einer sehr tiefen Schicht und wurzelt im Urgrund menschlichen Seins.
Wie können wir den Kontakt zu diesem Urgrund übend immer wieder eröffnen und ihn so mehr und mehr zum tragenden Vertrauensboden unseres Miteinanders machen?
Wir machen uns auf den Weg dorthin, wenn wir immer wieder Inseln der Stille, des zweckfreien Miteinanders, der Besinnung, der Wertschätzung, der absichtslosen und selbstverlorenen Erfahrung kultivieren und damit Kinder, Eltern und auch wir Erzieherinnen diese Lebensqualitäten als Grundqualitäten menschlichen Lebens kennen lernen und als abgespeichertes Erfahrungswissen darauf zurückgreifen können. Die Fähigkeit zur Verbundenheit ist eine grundlegende Voraussetzung zur Menschlichkeit. Ohne die Verbundenheit zur Natur z.B. ist Menschlichkeit auf Dauer nicht möglich. Ebenso wenig ist Menschlichkeit ohne die Verbundenheit von Verstand und Gefühl zu erreichen. Der Begriff Verbundenheit enthält in seiner unscheinbaren Bezeichnung das Wesentliche dessen, was auch der anspruchsvolle Begriff Liebe enthält. In dem Begriff Verbundenheit ist auch das eigentliche Wesen von Religion, und damit auch unsere Frage nach dem Vertrauen, enthalten.
Er enthält das Streben nach Ganzheit, nach Heil und nach Frieden, ohne Gegensätzlichkeiten aufzuheben und überwindet so die mit der Polarisierung einher gehende dualistische Spaltung sowie den Extremismus.
Wie können Sie als Team dazu beitragen, neben all den - wenn man im System denkt - ja auch berechtigten Anforderungen von außen, eine Atmosphäre zu schaffen, die nährt und trägt - die Kinder, die Eltern, aber auch Sie als Team?
Vertrauen beginnt in uns selbst, im Erkennen und Anerkennen unserer eigenen Widersprüche in uns, im Annehmen von uns selbst mit unseren Stärken und Schwächen.
Teamgeist ist für ein Team entscheidend, darin liegt die gemeinsame Kraft, der gemeinsame Ausgangspunkt. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Das Zusammenkommen von Menschen führt nicht von alleine zu einem Ganzen - im Sinne einer Gruppenidentität. Das Ganze eines Teams wiederum ist mehr als die Summe seiner Teile. Teamgeist wird dort spürbar und sichtbar, wo ein Team zusammensteht, füreinander einsteht, an einem Strang zieht, um eine aus der Situationsanforderung und dem Auftrag sich ergebende Aufgabe zu erfüllen.
Das Wir des Teams rund um die vorgenommene Aufgabe steht dabei mehr im Vordergrund als die Einzelne mit ihrem Ich. Teamgeist als solcher, wenn er sich einstellt, ist Ausdruck eines starken Wir-Gefühls. Das zeigt sich darin, dass sich alle gegenseitig unterstützen und sich für die gemeinsam vorgenommene Aufgabe stärken. In das Wissen und Voranschreiten von Gruppen mit Teamgeist fließt das Wissen und die Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitglieds ein. Der Raum des Handelns und Denkens wird also im Team größer und weiter. Dieses Gefühl der Größe, des „Mehr-seins-als-nur-sich-selbst“ ist das, was die Teammitglieder subjektiv erfahren und spüren, wenn der Teamgeist wirkt.
Dieser Teamgeist wiederum steckt an und stärkt Eltern und Kinder, ruft sie auf, zu kooperieren und miteinander um Bewegungen des Vertrauens ins Leben zu ringen.
Aufgabe der Leiterin ist es also, immer wieder dem bereits Gewordenen hinterher zu spüren, es mit seinen guten und weniger guten Aspekten loszulassen, um aus der inneren Quelle des Vertrauens ins Leben neu aufzusteigen und unvoreingenommen ohne Aufrechnung zum Gestern, ohne Vorurteile, ohne feste Vorstellungen, neu anzufangen, den noch nicht gelebten Möglichkeiten eine neue Chance zu geben und diese Haltung immer wieder im Team - dem Team dienend - zu initiieren.
Dann kann das Team selbstbewusst auf neue Aufgaben und auf neue Anforderungen zugehen, weil es eben diese aus der erlebten Erfahrung kommende Sicherheit hat, dass es gemeinsam zu schaffen sein wird. Die Teammitglieder sind im Vertrauen zu ihren Fähigkeiten und zu den Kräften, die immer mitwirken, wenn sie ihr Bestes geben.

Die Kitaleitung als Vertrauensperson
Finden, Bilden, Stärken - das Selbstbild der Leitung

Jede Kitaleiterin ist ja zunächst, bevor sie Leiterin wird, ein Mensch, eine Person, die bereits ein Leben mit und ohne Beruf hinter sich hat. Sie bringt sozusagen ihre Lebensgeschichte und ihr Wesen, all das, was sie auf der Grundlage ihres Ausgangs-Seins entwickelt hat, mit. Natürlich hat sie eine Idee davon, was sie als Person ausmacht, was ihre Stärken und Schwächen sind. Sie weiß natürlich auch, an welchen Stellen sie empfänglich ist, in wenig hilfreiche Muster hinein zu springen, die, wenn sie getriggert werden, alte Antworten aus der Kindheit wieder reanimieren.
Natürlich hat sie auch einen Rucksack voller Erfolgsgeschichten in ihrem Lebensgepäck. Sie hat sich Veränderungen vorgenommen, an der Idee modelliert, eine Andere zu werden. Im einen oder anderen Fall wird es ihr gelungen sein, dies für sich hinreichend gut umzusetzen.
Hierbei ist mit Sicherheit das Gefühl gewachsen, in das Leben hinein, in das eigene wie auch das gemeinschaftliche, wirken und gestalten zu können. Ganz bestimmt wird sie auch an der einen oder anderen Stelle erfüllende Glückserfahrungen gemacht haben, die aus dem Augenblick heraus sich ohne ihr Zutun eröffnet haben.
Das Gefühl von Kongruenz, also das Gefühl erlebter Einheit von Ziel und Umsetzung - etwas erreichen zu wollen und es in Jetztzeit zu sein - ist ein Erleben, das sich als Erfahrung tief eingebrannt hat und die Tür zum Vertrauen ins Leben als bleibende, tragende Wurzelerfahrung weit aufgestoßen hat.
Der tschechische Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi spricht von solchen Momenten, die aus dem Augenblick heraus in eine Gestalt führen, die Ziele in der Jetztzeit verwirklichen, von Flow-Erlebnissen. Das sind hoch verdichtete Augenblicke, die uns ein tiefes Ja mit uns, mit unserem Selbstbild und auch mit unserer Rolle empfinden lassen, weil sich erfüllt, was wir kaum zu wünschen gehofft haben.
Nicht immer finden sich Situationen und Umsetzungsgestalten zusammen, die so nahtlos das Gefühl geben, am Ziel zu sein. Oft müssen wir Monate, manchmal auch Jahre - ausgehend von unserem jetzigen Selbstbild - Situationen vorbereiten, die neue Erfahrungen ermöglichen und uns in Richtung auf ein neues Zielbild darin unterstützen, am Ende dann auch ein neues Selbstbild entwickelt zu haben.
Wir wollen offen und erreichbar erscheinen, Impulse anderer großherzig aufnehmen in unsere eigene Welt und unsere Haltung in dieser Begegnung für Veränderung öffnen. Doch in der tatsächlichen Situation fällt vielleicht ein Wort, das in uns Konkurrenz- und Angstgefühle weckt und schon verschließen wir uns, sind auf der Hut, grenzen uns ab, und wollen unser kleines Ich davor retten, im "Kränkungsmeer" zu verschwimmen. Plötzlich halten wir an unseren Positionen fest, wollen Recht haben, uns durchsetzen, und notfalls der Anderen unsere Meinung aufzwingen. Manchmal laufen diese Prozesse auch parallel. Wir erleben uns von unserem Selbstbild her offen und zugänglich und die Menschen, die uns näher kennen, haben vielleicht das Fremdbild, dass wir zwar treu und verbindlich sind, aber die Situationen mit den Anderen gerne kontrollieren wollen, weil wir offene Situationen nur schwer aushalten.
Vielleicht aber sind wir auch voller selbstkritischer Betrachtungen, geben uns ausschließlich schlechte Bewertungen, empfinden uns als unzulänglich und unzureichend und werden nun damit konfrontiert, dass die Menschen im Außen uns als unglaublich bereichernd und für das Ganze wunderbar hilfreich empfinden.
Sie sehen schon, zwischen diesen Polen des Selbstbildes und des Fremdbildes oszillieren die unterschiedlichsten Wahrnehmungen und Ansichten hin und her. Keine leichte Aufgabe, zwischen all diesen Orientierung anzeigenden Bojen, die eigene richtige "Fahrrinne" ausfindig zu machen und zu einer realistischen und realitätsgetragenen Selbsteinschätzung zu kommen.
Immer wieder erlebe ich in der Praxis, dass Menschen, die sich in direktem Kontakt, in der direkten Begegnung mit den anvertrauten Kindern schwer tun, sich in ihrer Not nach "oben" wegbewerben, um den suchenden Kräften des Miteinanders zu entkommen. Sprachlosigkeit, Gestaltungsunfähigkeit, Spürlosigkeit und Zerrissenheit kennen wir alle. Diese Qualitäten in den Keller zu sperren und darüber eine Maske der Selbstsicherheit zu entwickeln, die uns diesem alltäglichen Verloren-sein enthebt, ist sicher in manchen Augenblicksituationen unsere Rettung. Am Ende jedoch sollte eine solche Haltung nicht das Fundament einer Leiterin bilden.
Wenn ich als potentielle Leiterin zu ahnen beginne, dass ich mich im Kontakt schnell verliere, keine inneren Positionen mehr finden kann, mein Spürbewusstsein verliere, die Dinge laufen lassen muss, weil ich keine Verbindung mehr zu ihnen finde, dann sollte ich noch einmal gut prüfen, ob es mir mit Geduld und Einsatz möglich sein kann, an dieser Stelle nachzureifen oder ob ich als Leiterin wirklich geeignet bin. Sicher kann frau vieles durch Fortbildungen und Erfahrungen entwickeln, aber das eigene Wesen kann man nicht in eine ihm völlig fremde Form zwingen. Wer Leitung übernimmt, sollte Spaß am Umgang mit Menschen haben, sollte Freude daran haben, mit anderen gemeinsam Dinge zu entwickeln, Situationen zu gestalten und auch dazu einladen können, an einer Landkarte des gewünschten Miteinanders engagiert mitzuwirken.
Sie sollte daneben Feingefühl und Wahrnehmungsfähigkeit besitzen, um in Resonanz gehen zu können mit einzelnen Menschen (Eltern, Kindern, Kolleginnen), aber auch mit sich bildenden Gruppen, um sich die Inhalte und die darin mitschwingenden Befindlichkeiten fühlend und denkend erschließen zu können. Nur so können wir mit den Menschen, um die es geht, in Verbindung bleiben. Denn wer entstehende Situationen versprachlichen und erschließen kann, kann auch aus der inneren Kreativität schöpfend zu Richtungen, Möglichkeiten und zu befriedenden Räumen einladen.
Unabdingbar wichtig ist es für eine Leiterin, sich einerseits dem Team zugehörig zu fühlen, es andererseits aber auch aushalten zu können, dass das Team nicht alles mit ihr als Leiterin teilen will und es so Momente auszuhalten gilt, die alleine machen und das Gefühl von Einsamkeit wecken.
Auch der Spagat, einerseits sich für Ideen aus dem Team zu öffnen und andererseits sich doch auch vorzubehalten, die letzte Entscheidung zu treffen und dann auch für sie einzustehen, erfordert eine besondere Fähigkeit des Bei-sich-sein-Könnens und des Für-seine-Entscheidungen-einstehen-Könnens.
In einer noch nicht sehr lange zurückliegenden Supervision hatte ich folgenden Prozess begleiten dürfen: Die Leiterin stellte vor ca. 6 Jahren eine Hilfskraft ein, die stundenweise verlässlich einsprang, wenn Not an der Frau war. Vor 2 Jahren wurde deutlich, dass eine der fest angestellten Kolleginnen in den Ruhestand gehen wird. Ohne Rücksprache mit dem Team versprach nun die Leiterin besagter Aushilfskraft, dass sie die Nachfolge antreten kann. Erst 14 Tage vor Beendigung des Dienstverhältnisses der langjährig festangestellten Mitarbeiterin teilte die Leitung dem Team die verabredete Nachfolge mit. Dies löste nun allseits Empörung aus. Denn rundherum waren die Kolleginnen mit der Art, wie die Aushilfskraft die anstehende Arbeit ausfüllte und wie sie sich gegenüber Eltern und Kindern verhielt, höchst unzufrieden.
Frau hatte die Kollegin immer wieder auf Veränderungsnotwendigkeiten hingewiesen, diese jedoch hatte sich gegenüber den Veränderungswünschen resistent verhalten. Die Situation so lange zu tragen war nur mit der inneren Haltung möglich, dass es sich ja um eine Aushilfskraft handelte, die nur stundenweise einsprang. Durch die bereits getroffene Entscheidung der Leiterin entschied sich das Team, sich kooperativ zu verhalten und schlug vor, der Kollegin in Aushilfe die Stelle unter Vorbehalt und auf Probe zu übertragen. Es wurde ein Kanon von Erfordernissen formuliert, anhand dessen sie ihre Fähigkeit zur Veränderung unter Beweis stellen sollte. Nun wiederum entschied die Leiterin ohne Absprache mit dem Team, dass die Kollegin die Stelle nicht bekommen sollte. Einerseits war das Team erleichtert, andererseits schwirrte ein Paket von Verantwortlichkeit für diese Kollegin im Raum herum, das nach seiner Zugehörigkeit suchte.
Die Kolleginnen spürten zurecht, dass nach einer 6-jährigen Aushilfstätigkeit es eine gewisse Verbindlichkeitspflicht gegenüber der Aushilfe gab. Andererseits hatten sie selbst kein Versprechen gemacht, fühlten sich jetzt aber nach dem zurückgenommenen Versprechen durchaus verantwortlich für das Befinden der dann wohl scheidenden Kollegin, die die Stelle auch für ihren Unterhalt dringend brauchte.
Es wurde deutlich, dass für die Leiterin mit der veränderten Entscheidung alles Notwendige getan war und es für das Team nicht möglich sein würde, diesen Prozess dahingehend zu reflektieren, dass für zukünftige, anstehende Entscheidungen prozessuale Absprachen des Vorgehens getroffen werden. Denn für die Leiterin war klar, dass sie sich im Sinne des Teams entschieden hatte und sie teilte der Aushilfskraft dies auch in dieser Weise mit, dass das Team ihre weitere Anstellung nicht wünschte. Selbstverständlich verursachte diese Verantwortungszuweisung auf Seiten des Teams erneutes Unbehagen. Das Beispiel macht deutlich, wie wichtig es ist, in Entscheidungsprozessen sich immer wieder mit den anderen Verantwortungsträgern rückzubinden und rückzukoppeln.
Es kommt ganz wesentlich auf die Fähigkeit an, eigene Denkprozesse, die nach Lösung suchen, wieder nach außen transparent zu machen, ehe es zur Umsetzung der Lösung kommt, um einzusammeln, wie es den Anderen damit geht und was sie vielleicht noch zu bedenken geben wollen. In meinem Beispiel beruhte das Selbstbild der Leiterin durchaus auf der Idee, kooperativ gehandelt und das Team berücksichtigt zu haben. Auch das Team konnte mit sehr viel guten Willen die Absicht herausfiltern, wird aber, wenn es die eigene Befindlichkeit abspürt, als Fremdbild der Leiterin beschreiben, dass sie auf sehr autistische Art und Weise ohne Verbindung zu den Menschen im Verhältnis eigenmächtige Entscheidungen getroffen hat und es vermissen ließ, noch vor der Umsetzung sich mit dem Team rückzukoppeln. Wiederholt sich ein solcher Vorgang des Öfteren, wird das Team früher oder später in die innere Emigration gehen und von ihrer Leitung enttäuscht sein.
Neben diesen zuletzt beschriebenen persönlichen Prozessen und dem Ringen um ein Miteinander spielen als wichtiger Faktor der Selbstbildgestaltung auch das Menschenbild, die gesellschaftlichen Vorstellungen, die vereinbarten Rahmenbedingungen, die Bildungsziele, die Handlungsvorschriften eine wesentliche Rolle. Natürlich wird sich das zukünftig zu entwickelnde Selbstbild auch sehr stark an diesen Vorgaben orientieren.
Bei einem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel kann es durchaus geschehen, dass, wer gestern seine Rolle von außen betrachtet gut ausgefüllt hat, sich mit den neuen Erfordernissen plötzlich in der Situation sieht, nicht mehr genügen zu können. An dieser Stelle bewegt sich die Leiterin auf dem schmalen Grad von tragendem und nicht tragendem Selbstbild, und dem damit verbundenen möglichen Selbstverlust der eigenen Würde.

Die Rolle einer Leitung ist also vielfältigen äußeren wie auch inneren Einflüssen ausgesetzt. Es kann nicht ausbleiben, dass eine Leiterin im Laufe ihres Berufslebens sich immer wieder neu erfinden muss und über die Rolle von gestern hinauswachsen darf. Denn Leben bedeutet auch immer Veränderung und gerade dort, wo es um die Kleinsten unserer Gemeinschaft geht, die ja in die Zukunft hinein bestehen können sollen, ist es besonders wichtig, einen Draht zu den zukünftigen Erfordernissen unserer Gesellschaft zu halten.
Damit dies nicht zu einem zeitgeistnahen Hinterherlaufen verkommt, ist es ebenso wichtig, dass die Leiterin aus tief in ihr gegründeten Werten und Haltungen schöpft. Eine Leiterin sollte deshalb nie den Austausch mit anderen Leiterinnen missen lassen. Im Austausch der jeweils vor Ort entstehenden Bewegungen und Anforderungen und den Lösungen, die sich für die einzelne Leiterin daraus entwickeln, arbeitet und bildet die Leiterin auch an ihrer Leitungslandkarte, die über den Tag hinausreicht.
Der Austausch auch über Situationen, die noch kaum versprachlicht werden können, aber doch schon im Alltag eine gewisse Wirkmächtigkeit entfalten, beschleunigt den Prozess, die sich entwickelnden Strömungen zu begreifen und zu erfassen und macht es damit möglich, Antworten zu entwickeln.
Manchmal lohnt es sich auch, Einrichtungen aus anderen Kulturen, aus anderen pädagogischen Richtungen oder auch aus anderen Bundesländern kennen zu lernen, um den eigenen Horizont der gelebten Möglichkeiten und damit das eigene Auswahlspektrum für eigenes Handeln zu erweitern.
Auch wenn es also für die Leiterin ihr ganzes Berufsleben lang um das Gleiche geht: nämlich Verantwortung für den Rahmen zu tragen, in dem Kindergeneration für Kindergeneration in diese Welt hineinwächst und sich ihr Rüstzeug aneignet, das sie für eine positive Lebensbewältigung braucht, so müssen doch immer wieder neue Zugangswege, neue Methoden, neue Verfahren und neue Blickwinkel Eingang finden in das Wahrnehmen und Handeln der Verantwortungsträger der Gemeinschaft vor Ort.
So wie der Fluss scheinbar der alte bleibt und weiter in seinem Flussbett fließt, obwohl doch die Wassertropfen niemals dieselben sind, so fließen die Lebensjahre der Leiterin dahin und ihre Rolle und ihr Selbstbild werden von ihr in Kontinuität stabil erlebt, wobei die Inhalte, wie sie dieselben ausfüllt, sich vielleicht schon längst verändert haben.
In den nun folgenden Betrachtungen wollen wir vor allen Dingen auf das Flussbett schauen, d.h. übersetzt, auf die Grundhaltungen und Eigenschaften, die eine Leiterin zur Verfügung haben sollte, um das erfüllte und beglückende Zusammen-Fließen in ihrer Einrichtung zu ermöglichen. Denn nur so kann sich ein Vertrauensraum bilden, in den sich jede gerne einbringt und in dem auch jede an sich und die Anderen glaubt und darauf setzt, ihr Bestes hervorbringen und beitragen zu können.

Pflege eines stabilen, positiven Selbstbildes

Vermutlich wird es keinen Menschen auf dieser Erde geben, dessen Selbstbild nicht schon einmal schwer erschüttert wurde oder sich ganz grundsätzlich in Frage gestellt hat. Auf lange Sicht gesehen kann sich Stabilität im Hinblick auf das Selbstbild nur dadurch bilden, dass sich hinter den Auf- und Ab-Bewegungen von Selbstbildstörungen und Selbstbildauftrieb eine gewisse Kontinuität im Selbsterleben bildet, die dann auch durch Schwankungen und Zweifel hindurch trägt.
Sicher wird schon deutlich, dass es hierfür einige erfolgreich bestandene Erfahrungen im Umgang mit Selbstbildprozessen braucht, um den roten Faden und die tragende geistige Grundhaltung, auf der unser Selbstbild beruht, auch in Herausforderungssituationen halten zu können. Selbstbild stabil halten bedeutet also nicht, es zu zementieren, sondern heißt, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich im Herzen treu zu bleiben, wenn subjektiv erlebte Angriffe auf das Selbstbild uns dazu auffordern, uns in Frage zu stellen, unsere Grenze neu zu orten und über die eingespeisten Veränderungsimpulse in ein neues, die Situation integrierendes Selbstbild zu finden.

Dies bedeutet im Alltag, wenn ich mich von meinem Selbstbild her für beziehungsstark und wahrnehmungsfähig halte, ich aber von den Eltern her plötzlich damit konfrontiert bin, dass sie meine Leitungsqualitäten in Frage stellen, weil sie mir genau diese Eigenschaften absprechen, dann geht es darum, mit den geglückten Gestalten meines bisherigen Selbstbildes in Kontakt zu bleiben, sie als Zielrichtung für meine Entwicklung zu nehmen und gleichzeitig die elterliche Kritik aufzunehmen, die Schnittstellen herauszufinden, an denen die Eltern mich anders erlebt haben. Dann geht es darum, hinterher zu spüren, ob ich tatsächlich Dinge nicht wahrgenommen und die Eltern übergangen habe und was es gebraucht hätte, dies zu verhindern. Gleichzeitig muss es im positiven Sinne darum gehen, nicht in bereits vergangenem „wahrnehmungseingeschränkten Verhalten“ steckenzubleiben, sondern gegenwartsbezogen das Versäumte nachzuholen. Zielführend wäre hier, in ein Verständnis für die Haltung der Eltern zu finden, abzuspüren, welche Erwartungen sich daraus ableiten lassen und transparent zu machen, warum Sie als Leiterin die eine oder andere Erwartung umzusetzen bereit sind und wo Sie aus der eigenen Verantwortungsposition heraus vielleicht auch ein anderes Handeln bevorzugen. Sicher wäre es dann erforderlich, für dieses andere Handeln bei den Eltern auch zu werben und dort wo dies schwerfällt, einen Vertrauensvorschuss auf Zeit zu erbitten, nach dessen Ablauf gemeinsam geschaut wird, ob die von Ihnen als Leiterin vorgeschlagene Variante sich als zielführend und bewährend herausgestellt hat.
Selbstverständlich ist es aber auch möglich, sich weniger situationsspezifisch fortlaufend Feedback zu holen und dieses wiederum mit der eigenen Wahrnehmung abzugleichen. Das schützt eine Leiterin davor, dass Fremdbild und Selbstbild zu weit auseinander fallen.

So betrachtet ist auf der Basis des hier vorgestellten Umgangs mit Selbstbildfragen ein wichtiger Grundstein für eine Vertrauensbeziehung gelegt, auf der weiteres Vertrauen sich aufbauen und vermehren kann.
So können Stolpersteine zu gemeinsamen Trittsteinen werden.

Glaubwürdigkeit herstellen über Handeln und Sprache

Lassen wir uns von den Prozessen der Selbstbildfindung etwas tiefer erreichen, landen wir auch ganz schnell bei Fragen des Authentisch-Seins im Hinblick auf unsere Person. Es stellen sich Fragen wie folgende: Verkörpere ich tatsächlich durch meine Person, durch mein Handeln, durch mein Auftreten, durch die Art, wie ich meine Ziele und Vorstellungen in Kontakt bringe, meine eigenen Werte und Grundhaltungen?
Überzeugt das Wie meines Handelns die Menschen in meinem Umfeld in einer Art und Weise, in der sie mir die Integrität meines Wollens im Hinblick auf meine Ziele und meine Visionen abnehmen?
Ist dies der Fall, werde ich durch meine Person zum Katalysator für die Menschen im Umfeld, die durch mich erfahren, dass Offenheit mit Licht und Schatten, sowie Verbindlichkeit gegenüber mir selbst, meinen Werten und meinem Fühlen, eine lohnende Sache sind, die Spaß machen, Wachstum anregen, mich mit den Anderen im gemeinsamen Ringen verbinden und überhaupt ein Selbstgefühl von Zugehörigkeit und Erfüllung initiieren.
Eltern werden den Mut finden, wenn sie danach gefragt werden, wie es ihnen zuhause ergeht und dabei Kontakt hergestellt wird zum Erleben ihres Kindes in der Kita, ehrlich antworten.
"Ja, ich kann die Aggression meines Kindes gut verstehen, denn wir sind zuhause im Moment an verschiedenen Stellen dabei, um gemeinsame Wege zu ringen, die leider nicht immer schon sichtbar werden und uns aus dieser daraus resultierenden Unzufriedenheit heraus oft in Vorwürfe gegeneinander münden lassen."
Es verlangt allerdings von einer Leitung sehr viel Fingerspitzengefühl ab, Eltern wertfrei rückzumelden, dass ihr Kind im Moment jeden Rahmen sprengt und durchaus bei der Leitung selbst Gefühle von Missmut und Überdruss weckt.
Eine solche Information sollte immer auch gekoppelt werden mit dem Sichtbarmachen des eigenen Bemühens, wieder in eine Haltung zu finden, die das Kind annimmt und die Hintergründe seines Verhaltens zu verstehen sucht. Wenn dies gelingt, werden Eltern die Einladung zur Kooperation um des Kindes Willen sicher annehmen und sie werden sich in der Weise entlastet fühlen, dass ihnen der Druck und die Schuldgefühle im Hinblick auf eigenes "Versagen" abgenommen sind und umgelenkt werden auf eine gemeinsame, gegenwartsbezogene Suchbewegung in Richtung Lösung und Auflösung der unerträglichen Situation, die ja auch das Kind stark belastet.
Gleichzeitig machen wir, indem wir sichtbar machen, dass wir an eigene Grenze mit ihrem Kind kommen, auch ein Fenster auf, das den Eltern erlaubt, selbst an die eigene Grenze mit ihrem Kind kommen zu dürfen.
Nur wer sich innerlich eine solche Erlaubnis geben kann, kann sich auch authentisch verhalten, weil das Wahren eines Scheins dann nicht mehr notwendig ist.
Zweifel an der Authentizität einer Leiterin kommen auch dann auf, wo sie mit verschiedenen Bezugsgruppen zum gleichen Thema im Gespräch ist und sich ihre Position vielleicht je nach Ansprechpartner mal mehr so oder so ausdrückt. Menschen neigen dazu, aus diesen scheinbaren Widersprüchen, die ja vielleicht nicht wirklich welche sind, abzuleiten, dass man der Leiterin nicht mehr vertrauen kann.
Hier gilt es selbstbewusst darauf zu bestehen, dass frau als Leitung ja selbst ein lebendiger Organismus ist, und im Kontakt mit der Anderen schwingt, sich auf sie einstellt und mit ihr eine gemeinsame Sprache sucht und hoffentlich auch findet. Über diese unterschiedlichen Versprachlichungen entsteht auch für die Leitung, wenn sie es denn zulassen kann, eine größere Sicherheit und eine größere Ausleuchtung der zu klärenden Situation, die es ihr letztendlich erleichtert, authentisch am Ende für einen Weg, der mehrheitlich Zustimmung findet und sich mit ihren Werten verbinden lässt, einzustehen.
Eine Leiterin steht aber nicht nur fachlich im kritischen Licht der Elternschaft, sondern sie wird auch mit ihrem privaten Leben, mit ihrem Sein als Privatperson an ihren Werten gemessen. Kommt sie selbst in eine für sie persönlich schwierige Situation, kann es durchaus richtig und wichtig sein, den Eltern transparent zu machen, dass die eigene private Lebenssituation im Moment viel abverlangt und deshalb die eigene Offenheit punktuell auch einmal leidet.
Für Eltern ist es sehr entlastend zu sehen, dass Kompetenz nicht heißt, sich nicht auch einmal erschöpft oder verzweifelt fühlen zu dürfen. Professionalität macht sich vielmehr daran fest, wie wir mit diesen persönlichen Befindlichkeiten umgehen und wie bewusst oder unbewusst sie auf unser Alltagshandeln als Leiterin Einfluss nehmen.
Sowohl die Kolleginnen als auch die Eltern werden sich das abschauen und für sich selbst zu verwirklichen suchen. Wer von dem ausgeht, was ist, hat viel Energie frei für das Finden von Lösungen.
Bei denen, die viele Kräfte dafür aufbrauchen, um zu verschleiern, wie es tatsächlich ist, erschöpfen sich unter Umständen ihre Kräfte bereits in dieser Anstrengung. Authentisch sein macht also Mut, lädt ein zu konstruktivem Umgang mit Herausforderungssituationen und schafft auf einer ganz breiten Ebene ein Klima des Vertrauens.

Beglückende und schmerzliche, erfolgreiche und missglückte Beziehungssituationen wahrnehmen, relativieren und verwandeln

Schon die Überschrift dieses Unterkapitels lässt deutlich werden, wer sich zu hoch oder gar ausschließlich mit einer Beziehung und der Person oder den Personen dieses Beziehungskontextes identifiziert, verliert sich in dem Mahlgetriebe der Wachstumsprozesse.
Jede Art von Beziehung erfordert die Fähigkeit zur „Ent-Identifizierung“.
Das bedeutet, dass ich immer wieder ganz alleine bei mir ankommen muss, um von dort her zu fühlen, ob die Art, wie sich die Beziehung im Moment ausdrückt und die Bewegungen, die aus ihr hervorgehen, auch wirklich die Umstände widerspiegeln, die ich leben und ins Leben bringen möchte. Denn jede Beziehung zeigt in kleineren oder größeren Nuancen Abweichungen von dem, was die beteiligten Beziehungspartnerinnen als geglückte Beziehung bezeichnen würden. Auch entwickelt sie vielleicht Tendenzen, die der Einen oder Anderen zuwider laufen oder sie wenigstens zu wenig zu berücksichtigen scheinen. Beziehung braucht also neben den Prozessen, in denen sie aus der Jetztzeit heraus stattfindet, immer auch die korrigierende bzw. wache Resonanzbegleitung aller Beteiligten, die sie aus ihrem inneren Kompass schöpfen.
Selbstverständlich erfordert die Wahrnehmung von Entwicklungen, die ich vielleicht als zu überschießend und zu sehr ins Außen gerichtet empfinde oder die mir zu pessimistisch und zaghaft erscheinen, nicht nur das kognitive Erkennen meiner Wahrnehmung, sondern selbstverständlich auch die Bereitschaft, dies verantwortlich in den Beziehungszusammenhang hinein zu tragen und dort aus der eigenen Bewegung heraus Veränderungsimpulse oder Gestaltungseinladungen für ein neues Umgehen zu initiieren.
Auf der anderen Seite ist es ebenso wichtig, wahrzunehmen, dass es sich bei jeder der beteiligten Beziehungspartnerinnen um lebendige Organismen handelt, die aus ihrem eigenen Geworden-sein und sich damit aus der sich schon gebildeten Persönlichkeitsstruktur heraus handelnd einbringen.
Dabei kann es nicht ausbleiben, dass unterschiedliche oder sich widersprechende Strukturaspekte zunächst nicht zusammen finden, sondern sich gegeneinander aufstellen. Es kann sich hierbei um inhaltliche Vorstellungen handeln, die sich aus der eigenen inneren Struktur ergeben, oder es kann sich auch um unterschiedliche Sichtweisen handeln, wie mit der Situation oder den unterschiedlichen Inhalten oder Befindlichkeiten umzugehen ist, und wie vorgegangen werden muss, damit sich die Beteiligten wieder befriedigend annähern und finden können.

Vielleicht erlebt eine Gruppe von Erzieherinnen die gleiche Ausgangssituation mit ungleichen Bewertungsbrillen. Zum Beispiel sind die Jungen in ihrer Gruppe im Moment sehr übermütig und überschießend und nehmen die Mädchen mit ihren Bedürfnissen kaum noch wahr. Sie stülpen ihnen ihre eigenen Spielhülsen über und stellen sie ungefragt an Rollenplätze, ohne den Mädchen die Zeit und den Raum zu lassen, um prüfen zu können, ob und wie sie überhaupt mitspielen wollen.
Die eine Erzieherin empfindet das als unverschämt und ungehobelt. Die andere Erzieherin, die selbst drei Jungen hat, glaubt um die jungenhaften Kräfte zu wissen, die sich auch kämpfend und ringend wie kleine Katzen erproben wollen und ohne Steuerungshilfe hier den Mädchen jedenfalls auf keinen Fall gerecht werden. Die dritte empfindet eher den dahinter stehenden hohen Geräuschpegel und die aufgepeitschte Spannungsenergie als störend und aggressiv-verletzend im Hinblick auf ein friedvolles Gestalten der Kita-Atmosphäre.
Sicher gäbe es noch die unterschiedlichsten weiteren Standpunkte, die sich entwickeln und dazu gesellen könnten. Aus den unterschiedlichen Standpunkten wiederum ergeben sich auch unterschiedliche Ideen, wie damit umgegangen werden soll.
Die eine Erzieherin steigt vielleicht auf das Spiel der Jungen ein, um aus dem Spiel heraus Anregungen zu geben, die die Jungen dazu einladen, eine andere Richtung in ihrem Spiel einzuschlagen. Von der zweiten Erzieherin wird dies vielleicht als wenig konsequent, lasch und sich mit den Jungen verbrüdernd empfunden. Sie kann darin das Bemühen um Veränderung und Verwandlung des Geschehens nicht erkennen. Die zweite Erzieherin will vielleicht mit deutlichem Imperativ und einer Strafandrohung oder angedeuteten Strafandrohung die Jungen dazu bringen, die hervorbrechende Energie in sich selbst einzuschließen, um im Äußeren Befriedung herzustellen.
Die dritte Erzieherin versucht sich vielleicht mit einem Spielangebot, von dem sie glaubt, dass es Jungen und Mädchen in gleicher Weise ergreifen könnten und hofft so, die aufgebrochenen Kräfte wieder in akzeptable Bahnen lenken zu können. Die vierte Erzieherin steht vielleicht auf dem Standpunkt, dass es gut wäre, die fünf bis sechs energiestärksten Jungs in den Garten zu schicken, damit sie sich dort austoben können und würde darauf hoffen, dass die Jungen nach ihrem Zurückkommen etwas weniger ungestüm in ihre Spielhülsen einladen, die sich aus ihren Spielprozessen ergeben.
Natürlich gibt es zu den Vorschlägen aller Erzieherinnen auch Haltungen und Positionen, die sich als Gegenpositionierung ausdrücken oder zumindest den angedachten Lösungsansatz kritisch betrachten.
Je nachdem, ob der Fokus eher auf der Unterstützung emanzipatorischer Kinderkräfte gelegt ist, oder ob er eher ordnungsschaffend in den Gesamtrahmen eingreifen will, werden wir dahinter verschiedene Haltungen und vielleicht auch verschiedene Menschenbilder entdecken.
Es lohnt sich allemal, über solche Positionierungen, durch eine Situation ausgelöst, das Miteinander zu suchen und sich in den verschiedenen Bemühungen und dem dahinter liegenden Ansatz gegenseitig zu würdigen.
Denn die "letzte" Wahrheit will all diese Facetten und Ausschnitte berücksichtigt und gut versorgt wissen.
Über solch ein aufschäumendes Ereignis, das dabei ist, sich als Verhaltensmuster fest zu etablieren, lohnt es sich durchaus, miteinander in die Tiefe zu steigen und den Raum dafür zu öffnen, was das bei jeder einzelnen Erzieherin für Gefühle und für Eingriffs- und Handlungswünsche auslöst. Im Ringen um das Wohl des Ganzen, aber auch des einzelnen Kindes wird es vielleicht Momente der Distanzierung, der Befremdung geben, aber es wird dabei auch Verständnis entwickelt und es werden Annäherungen in Richtung eines größten gemeinsamen Nenners angestoßen. Es findet gemeinsame Wertebildung statt, deren Boden wiederum Vertrauen wachsen lässt.
Ein solcher Prozess könnte niemals stattfinden, ohne die Fähigkeit, von sich selbst Abstand zu nehmen und das eigene Herz auch für die Gefühle und Positionen der Anderen zu öffnen, ohne gleich in eine Bewertung oder Abwertung einzusteigen.
Natürlich wollen wir hier nicht durch idealistisch überzeichnete Lösungsbilder schon im Voraus Schuldgefühle schaffen für Situationen, in denen dies nicht gleich gelingt. Wer den Kita-Alltag kennt, weiß, wie schnell aus solchen unterschiedlich eingeschätzten Situationen heraus auch Kränkungen, Wut, Unverständnis und Abgrenzungswünsche gegenüber den Kolleginnen entstehen können. Hier ist es gut, eine Leiterin im Hintergrund zu haben, die sich mit solchen prozessualen Vorgängen auskennt und die durch eigene Impulse die Verbindung zwischen den einzelnen Erzieherinnen im Dienste der Sache immer wieder ermöglichen kann.
Hilfreich ist auch, wenn die Kolleginnen spüren, dass da jemand ist, die den roten Faden zum Auslöser hält und hinter all den sensationellen Gefühlen und Befindlichkeitserregungen nicht vergisst, was hier befriedet und gelöst werden möchte.

Gelingt es im Zusammenspiel aller Kräfte einen Weg zu entwickeln, der sowohl die Mädchen und Jungen berücksichtigt, wie auch die Gesamtsituation in der Kita, aber auch die Erzieherinnen mit ihren konzeptionellen und fachlichen Ansprüchen, die auch persönliche Prägung haben, können alle nur gewinnen und gemeinsam mit Stolz auf die gefundene Entwicklung zurückschauen.
Im Rückblick hätte sich hier eine Erfolgsgeschichte abgespielt, die das Vertrauen der Erzieherinnen in ihre eigenen Gestaltungs- und Bewältigungskräfte stärkt und damit auch Vertrauen schafft im Hinblick auf neue herausfordernde Kita-Situationen.
Wiederholt sich solch ein erfolgreiches Vorgehen am Ende von gemeinsamen Bemühungen, bildet sich fast wie von selbst und ohne Anstrengung eine Vertrauenskultur im Umgang miteinander, die bei allen weiteren Herausforderungen von vorn herein dazu beiträgt, dass alle Beteiligten entspannter und zuversichtlicher an das zu lösende Problem oder die herausfordernde Aufgabe herangehen.
Auch die Leiterin wird, wenn sie Prozesse führend begleitet und weniger Vorgehensweisen fordernd einführt, an Vertrauen gewinnen. Ihr Team wird ihre Kompetenzen, Prozesse halten zu können, zu würdigen wissen und gleichzeitig voller Freude darüber sein, dass ihre Leitung ihnen etwas zutraut.

Die Leitung selbst hat umgesetzt, was wir zuvor vorausgeschickt haben und darf sich selbstverständlich auch für einen Moment in diesem gelungenen Prozess, der durchaus indirekt auch durch ihre Person maßgeblich ermöglicht wurde, sonnen. Auch sie wird so das Vertrauen in ihre Leitungsfähigkeit gestärkt wissen und gegenüber ihrem Team wieder einmal gewachsene Sicherheit ausstrahlen.

Hinhören - Zuhören

Hinhören und Zuhören sind sicher eine Kunst, die auch im Hinblick auf die Kinder eine große Rolle spielen sollte. Wir wollen uns hier aber vor allen Dingen dem Binnenverhältnis der Erzieherinnen zuwenden. Wer zuhören und hinhören kann, wenn er einigermaßen einfühlungsfähig ist, kann vieles von dem wahrnehmen, was die Andere ausmacht und von was sie sich im Moment herausgefordert und bewegt fühlt. Schnell ist frau dabei, es für die Andere besser wissen zu wollen, ihr gleich mit dem Verstehen auch Vorschläge nahe zu legen, die aus der eigenen Struktur kommen. Schnell ist frau auch dabei, im eigenen Bewertungskontext dem Gehörten einen Platz zuzuweisen, auf Distanz zum Gehörten zu gehen und sich durch Positionierung in der eigenen Person davon abzugrenzen oder sich davon angezogen zu fühlen.
Echtes Hinhören und Zuhören unterbindet zwar solche Bewegungen nicht, versucht aber in einer Haltung zu bleiben, die der Anderen, die erzählt, Raum lässt. So kann die Erzählende aus sich selbst und ihrer eigenen Befindlichkeit heraus Antworten bzw. Haltungen entwickeln, die zu ihr passen. Schweigendes und Resonanz gebendes Zuhören, das nur Verständnisfragen stellt und sich ansonsten am Erzählfluss des Gegenübers orientiert und sich mitfließen lässt, schafft ganz von allein einen Raum des Vertrauens und das tiefe Gefühl, sich verstanden zu fühlen.
So sind wir also als Zuhörerinnen vollkommen entlastet im Hinblick auf Erwartungen, von denen wir vielleicht glauben, dass sie unser Gegenüber an uns hat. Das gibt uns die Freiheit, etwas dazu zu sagen oder auch nicht. Das klingt jedoch einfacher als es ist. Fällt es uns doch selbst schon schwer, die Suchbewegungen eigener innerer Prozesse, von denen wir noch nicht wissen, wohin sie führen, in einer offenen Haltung ihren Weg gehen zu lassen.
Das scheint mir als Autor sowieso als eines vom Schwersten, Dinge offen zu lassen und nicht vorschnell, bevor sie sich ausgetragen haben, nach Lösungen zu greifen. Wer Kontrolle nicht aufgeben kann, zu Hilflosigkeit und Ohnmachtsgefühlen nicht ja sagen kann, der kann auch nicht ins Vertrauen für offene Prozesse kommen und schon gar nicht ans Vertrauen ins Leben anknüpfen.
Zuhören und Hinhören bedeutet also zunächst, bedingungslos sich mit dem zu verbinden, was sich aus dem Gespräch heraus entwickelt. Indem die Erzählende aus der Selbstaktualisierung schöpft, tastet sie sich in die aufkommenden Fragen und damit auch in mögliche Antworten hinein. Diesen Prozess mit seinen Suchbewegungen begleiten zu dürfen und als Zeuge dieser Suche die Suchende zu bestärken und zu ermutigen, ist eines der schönsten Geschenke, die wir uns selbst und der Anderen machen können. Wer also zuhören kann, kann auch verstehen. Sie kann sich in die Andere einfühlen und sich von ihrer subjektiven Art her, den Situationen Bedeutung zu geben, in die Situation eindenken.
Das klingt wiederum viel einfacher als es ist. Denn wir haben es nicht nur mit dem Team und seinen Teammitgliedern im Außen zu tun - dort können wir uns als die, die wir sind, auf sie beziehen - sondern wir haben es auch mit dem "inneren Team" zu tun.
Inneres Team bedeutet für uns, dass die Menschen, die wir im Außen erleben, auch in uns mit ihren Stimmen einen Platz haben, den wir ihnen zuweisen, um sie für unseren Berufskompass und dem damit verbundenen inneren Dialog zu nutzen. Wir führen aus unserer Struktur heraus in uns selbst den Dialog mit dem Team fort und schreiben der einen oder anderen Kollegin diese oder jene Eigenschaften bzw. Rollen zu. Wir machen uns ein Bild von ihr. Mit dem Bild legen wir sie in unserer Vorstellung auf bestimmte Verhaltensweisen, auf bestimmte Wesensarten und auf bestimmte Umgangsformen fest. Mit der Festlegung wiederum schränken wir unsere Wahrnehmung ein und hören unter Umständen nur noch das, von dem wir glauben, dass es in unser inneres Bild passt.
Dies wieder loszulassen ist gar nicht so leicht, denn dieses Orchester im Inneren mit seinen verschiedenen Stimmen und Abwägungen trägt ganz ursächlich zu unserer seelischen Gleichgewichtsfindung bei. Kommt eine Figur in Bewegung, geht es dem ganzen Orchester wie einem Mobile, das sich neu finden muss, wenn ein Teil seinen Platz verändert. Dies zu berücksichtigen fällt uns nicht immer leicht. Wir halten unsere inneren Bilder dann für die Wirklichkeit und wundern uns, obwohl wir doch zur Kommunikation bereit sind, dass es im Außen zu keiner weiterführenden Bewegung kommt.
Wir übersehen, dass wir in der Vorausahnung auf einen Gleichgewichtsverlust in Angst kommen und die Dinge festhalten wollen - also auch unsere Vorurteile - wie sie sind, weil sie uns so erlauben, uns nicht verändern zu müssen.
Noch mehr im blinden, uns nicht sichtbaren Bereich liegt die Gewissheit, dass auch wir aus einer Struktur handeln, die die Andere in ihren Möglichkeiten beschränkt. Denn unsere Struktur lädt zu bestimmten Dingen ein und hat andere überhaupt nicht im Auge. In Resonanz zu etwas zu gehen, das der Anderen weder als Einladung noch als Abwehr in der Verbindung zur Verfügung steht, erfordert große innere Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein in Bezug auf die eigene Person.
Neben der Reflexion dieser beschriebenen Umstände ist Humor hier eine wunderbare Kraft, die uns alle ob unserer Hemmnisse entlasten und in Freude bringen kann. Über uns selbst zu lachen, macht frei und schafft den nötigen inneren Abstand, um sich daran zu erinnern, dass wir keine Lösungen haben müssen, dass wir für die Anderen nicht wissen müssen, was den Anderen gut tut, dass wir uns auch selbst auf der Suche befinden dürfen und dass wir alle zusammen aus dem noch nicht Geborenen, aus dem "Nichts" schöpfen dürfen. Stellen wir uns diesem Prozess, der Mut erfordert, schaffen wir das Gefühl von Miteinander und Vertrauen und wir lernen, uns ins Leben und in die Aufgabenstellungen unseres Berufes hinein zu vertrauen.
Nun gilt es, dafür ein Beispiel lebendig werden zu lassen.
Mir ist ein Team bekannt, in dem verschiedene Mitglieder das Gefühl hatten, dass sich eine der Kolleginnen gerne auf die buchhalterische und verwaltungstechnische Seite ihres Berufes zurückzog. Obwohl die gleichen Kolleginnen im inneren Vorwurf waren, dass die Kollegin die bürokratischen Arbeiten dafür nutzte, nicht in den Kontakt mit den Kindern gehen zu müssen, gingen sie trotz alledem gerne auf sie zu, wenn sie sich in diesem Bereich unsicher fühlten oder Fragen hatten. Dabei hatten sie die Kollegin noch nie gefragt, ob sie das gerne machte. Die selbige wiederum neigte dazu, angefragte Verantwortlichkeiten zu übernehmen. Erst in entspannter Kaffeerunde am Abend vor der Supervision kam durch Zufall heraus, wie sehr die Kollegin bedauerte, so wenig Zeit "am Kind" zu haben. Es wird plötzlich deutlich, dass sie zwar den bürokratischen Kram abarbeitete, aber dass sie es aus Pflichtbewusstsein tat und nicht, weil sie eine besondere Freude daran hätte oder sich dem Geschehen gar entziehen wollte. Natürlich wurde in diesem Moment viel gelacht. Trotz allen aufgestauten Ärgers hatte die Situation, wie sie sich eingestellt hatte, viele Bequemlichkeiten genährt, die frau dann schwuppdiwupp der Bürokratie abarbeitenden Kollegin als Motivation unterjubelte, um mit der eigenen Bequemlichkeit, die die Oberhand behalten hatte, nicht in Kontakt kommen zu müssen.
Mit der Eingebung, dass das gefundene Gleichgewicht kein wirklich zufrieden-stellendes Gleichgewicht war, waren alle Kolleginnen bereit, Energie dafür einzusetzen, die Situation so zu verändern und zu verbessern, dass sich eine allgemeine Zufriedenheit wiederherstellen konnte. D.h. die Aufgaben wurden neu verteilt und gemeinsam wurde darauf geachtet, dass diese neue Aufteilung auch eingehalten wurde. Der pflichtbewussten Kollegin half frau immer wieder dabei, sich anbietende Gelegenheiten zur Verantwortungsübernahme an sich vorbeigehen zu lassen. Die Leiterin dieser Einrichtung, die mehrere Häuser betreut, hatte diesen Konflikt zwar mitbekommen, konnte aber ganz in der beobachtenden Rolle bleiben, weil das Team aus sich selbst heraus die Kräfte freisetzen konnte, die notwendig dafür waren, um sich einer Selbstreinigung in dieser Sache zu unterziehen. Indem die Leiterin tatsächlich auch in der beobachtenden Rolle blieb, ermöglichte sie dem Team, sich mit seinen eigenen Kräften zu erfahren und damit zu begreifen, dass die Teammitglieder im gemeinsamen Tun einander vertrauen können.

15. Februar 2021 / Joachim Armbrust / Kita-Leitung


Corona und Nachhaltigkeitsperspektiven

Einige Überlegungen, die weder Corona leugnen wollen, noch politische Entscheidungen unterlaufen wollen, aber ein Beitrag sein wollen, über das kurzfristige und manchmal auch atemlose Alltagshandeln hinaus zu schauen. Viel Spaß und Aufschluss beim Lesen!

Kleiner Vorspann

Wenn ich körperliche Symptome habe, dann stelle ich sie in einen Zusammenhang mit meiner Verfassung und versuche mir deren Ursächlichkeit zu erschließen.
Wenn meine Sehnen überdehnt sind, ahne ich vielleicht, dass ich sie überanstrengt habe, wenn ich am ganzen Körper Warzen habe, stelle ich vielleicht fest, dass mein Körper übersäuert ist.
Wenn ich Kopfschmerzen habe, habe ich mich vielleicht beim Nachdenken überanstrengt oder ich stehe unter großem Druck…
Herzrasen gibt mir vielleicht einen Wink dahingehend, dass ich Angst habe, vielleicht davor, verlassen zu werden…
Geht das Ihnen /Euch auch so?

Nehmen wir an, dass es auch eine Art gesellschaftlichen „Globalkörper“ gibt, dann wäre es unsere Aufgabe, nachzuspüren, warum in diesem globalen Zusammenhang Viren alles außer Kontrolle bringen können.
Was sehen wir nicht, was beachten wir nicht, worauf käme es vielleicht an? Worauf könnten Sie uns aufmerksam machen?
Der Text will ohne Anspruch auf Wahrheit und ohne globale Kritik an politischen Entscheidungsträgern zu üben, - die können im Moment nur im Nebel stochern und nur bedingt gleich die ganze Ursächlichkeit der möglichen im Hintergrund arbeitenden Themen treffen – einfach ermutigen selbst einmal darüber nachzudenken und nachzusinnen…

Ich erwarte keine kritiklose Zustimmung, keine solidarisch sein, ich wünsche mir, dass Du dir selbst Gedanken machst und zu verstehen versuchst.
Viele Menschen, die viele Gedanken haben, eröffnen vielleicht einen neuen Blick, der über das kurzfristige Handeln,, um Gefahr abzuwenden hinausführt,… Das wäre doch klasse!
Vielleicht kommen wir ja nicht nur auf eine Geschichte die uns Identität gibt und das Gefühl, Kontrolle zurückzugewinnen, vielleicht gibt es ja auch eine Geschichte, die uns einen Weg zeigt und zum Aufruf wird…

Corona

Das Virus war ein ungeschriebenes Blatt – erst nach und nach erweiterte sich der Erkenntnisstand im Hinblick auf Infektionswege, sowie typische Symptome und Verlaufsformen der Erkrankung. Die Behandlungsmöglichkeiten waren zunächst begrenzt, so dass Symptomlinderung und Verhaltensempfehlungen, die sich im Zusammenhang mit anderen hoch ansteckenden Erkrankungen bewährt haben, im Vordergrund standen (Abstand halten & Hygiene, später auch Alltagsmaske und vermehrtes Lüften). Angesichts der wahrgenommenen Bedrohungslage war es nachvollziehbar, dass größte Anstrengungen für die schnellstmögliche Entwicklung eines Impfstoffes verwandt wurden.
Zwischenzeitlich mussten die politisch Handelnden reagieren. In dem Bewusstsein vorläufig nur „auf Sicht“ fahren zu können, wurden Entscheidungen zur Krisenbewältigung – zumindest in der öffentlichen Darstellung – eng mit „der Wissenschaft“ abgestimmt und immer wieder nachjustiert.
Bei näherer Betrachtung wird allerdings deutlich, dass sich die Rat gebenden Wissenschaftler überwiegend aus den neuen Leitwissenschaften Virologie und Epidemiologie rekrutieren und diese Auswahl eine biopolitische Verkürzung eines Gesundheitsverständnisses begünstigt.
Die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens (lock down) kann als die bisher größte nicht-medizinische Interventionsmaßnahme begriffen werden, die sich entgegen dem vorgestellten Schulterschluss mit „den Wissenschaften“ zu großem Teil nicht auf evidenzbasierten Annahmen stützen kann.
Mag dies in den ersten Monaten der Pandemie angesichts des Handlungsdrucks noch nachvollziehbar gewesen sein, so wird länderübergreifend nach Wirksamkeitsbelegen gefragt. Auch nicht-medikamentöse Maßnahmen können Nebenwirkungen haben.
Die Maßnahmen haben Konsequenzen für die sozialen Beziehungen der Bürger, für deren emotionale Verfasstheit, für die Organisierung des Gesellschafts-Körpers, und für die symbolische Ordnung. Dies weist über die Pandemie selbst hinaus und setzt bereits länger andauernde Entwicklungsprozesse fort.
Wir lernen uns in verordneten Rastern zu bewegen und unsere Bedürfnisse zurückzunehmen. Für die Älteren unter uns eine kleine Einschränkung, für die kleinen Kinder unter uns ein grundlegend persönlichkeitskultivierender Vorgang!
Sie lernen folgsam zu sein und ihre Bedürfnisse auszublenden.
Mit Ausbruch von Corona, war es aus gutem Willen fürs Ganze naheliegend, anzunehmen, dass die Corona-bezogene inflationierende Ängstigung und das damit verbundene kopflose Handeln ein Ergebnis von Überforderung, vielleicht auch von Blindheit gegenüber eigenen Ängsten und Bedrohungsgefühlen oder auch von aufkeimenden sich selbst überhöhenden Omnipotenz-Gefühlen war.

Denn nicht nur Patienten/innen oder die Bevölkerung schlechthin haben Ängste, sondern z.B. auch Ärzte/innen. Sie sind dem ungefilterten Patientenaufkommen ausgesetzt, wissen nicht, ob sie sich selbst anstecken, haben zusätzlichen Stress, weil sie Aufgaben der Gesundheitsbehörden übernehmen müssen und - sie müssen, wenn sie Kinder haben, die Schließung von Kita oder Schule auffangen oder bei eigenen Jugendlichen das Getrenntsein von ihren Peergroups auffangen helfen. Leider findet eine beziehungsmedizinische Sicht auf die Situation bis jetzt kaum statt.

Jeder Arzt wurstelt vor sich hin und entwickelt seine ganz eigenen Lösungen und schließt sich dem Mainstream unreflektiert an, um nicht herauszufallen. Denn die, die sich eine individuelle Handhabe erlaubt haben wurde in die Ecke von Verantwortungslosigkeit gestellt.

Aber auch Politiker haben Ängste, z.B. davor, in der eigenen Schockstarre politisch unterzugehen, unsichtbar zu werden. Oder davor, falsche Entscheidungen zu treffen und dafür ins Abseits zu geraten. Oder davor, als verantwortungsloses Weichei betrachtet zu werden, das keine Haltung findet und auch nicht den Mumm hat, Lösungen in Struktur- und Handlungsvorgaben hinein, vorzugeben.

Mit Großherzigkeit sei zunächst einmal darauf geschaut. Aber wir wollen darin jedoch nicht verharren. Denn eine Krise bringt immer auch eine Chance mit sich, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu verändern. Die Kunst im Leben ist es, aus einer Krise zu lernen und im besten Fall gestärkt daraus hervorzugehen.

Wenn wir etwas Abstand zu den ganzen Prozessen suchen, die uns im Moment bewegen, dann dürfen wir festhalten: Die Arbeitsunfähigkeitsstatistiken der letzten Jahre zeigten bereits vor der Corona-Krise einen deutlichen Anstieg psychischer Erkrankungen. Ein steigender Kosten- und Zeitdruck, kognitive und zwischenmenschliche Anforderungen, sowie die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust tragen dazu bei, dass Arbeitsnehmer zunehmend psychisch belastet sind.
Um die Arbeitnehmer in diesen Punkten zu entlasten, bedarf es Methoden, die in ihren Alltag passen und einfach anwendbar sind. Das Ziel ist dabei immer, den Arbeitnehmer dabei zu unterstützen, in einen Zustand zu finden, der es ermöglicht, unter allen denkbaren Bedingungen, die eigene Leistungsfähigkeit zu erfahren. Eine große Leistungssteigerung ergibt sich z.B. daraus, wenn es uns gelingt, dass die Amygdala im Gehirn, welche bei Bedrohungen aktiv wird, keine weiteren Stressreize empfängt. Somit wird das Abwehrsystem in einen ruhenden Zustand versetzt und der Körper schüttet weniger Stresshormone, wie z.B. Cortisol aus. Allein das ermöglicht es, auf die vorhandenen Ressourcen zurückzugreifen und sachliche Entscheidungen oder Denkkonstruktionen zu entwickeln, die uns dabei helfen die Herausforderung aus der Ruhe anzunehmen und kreativ-schöpferisch zu bestehen. In Verbindung zukommen mit dem eigenen Sein, dem Urgrund also, aus dem wir leben, kann Wunder bewirken und das allgemeine Wohlbefinden unglaublich steigern.
Doch genau das Gegenteil haben unsere politischen Kräfte, auch die öffentlichen Medien, als Sinnerzeuger und den Zusammenhängen Bedeutung gebende Instanzen, auf den Weg gebracht. Dialog, multidisziplinärer Austausch, Diskurse über verschiedene Ansätze, wurden unterdrückt und Angst bei den Menschen geschürt. Allmählich konnte bei der/dem wachen Beobachter/in das Gefühl entstehen, dass das Vorgehen beabsichtigt ist.
Die Maßnahmen waren alle so angelegt, dass wir über Zahlen, technische Daten, verwaltungstechnische Kontrollmechanismen und Datensammelkorridore uns Informationen kreieren, die uns dann zum Leitstern für unser automatisiert geführtes Handeln werden, das sich an nicht mehr tragfähigen Werten orientiert. Im schlimmsten Fall könnte sich daraus eine neue Gesellschaftsordnung ergeben, die sehr stark über künstliche Intelligenz und Digitalisierung geprägt ist.
Digitalisierte Vorgabesysteme, machen es dem Verwaltungshandeln leicht, Menschen „auf Spur“ zu bringen, in jedwedem Sinne. Außerhalb der angelegten und eingeladenen Vorgangsstrukturen tut sich ein Unraum auf, der uns vereinsamen lässt und uns ins Nichts stürzt, wenn wir auf das Leben außerhalb in freieren, aber auch gemeinschaftsbezogenen, Räumen beharren. Diese Mechanismen ermöglichen es also, jeden Menschen bis ins Detail zu kontrollieren.
Zudem wird der Mensch über die Logik des Verwaltungshandelns seinen Subjektstatus verlieren und mehr und mehr zu einem Objekt werden, das am Ergebnis gemessen wird und daran, ob er sich „einspurt“ oder „ausschert“. Wie können wir den Trend zu einer totalen Instrumentalisierung des Menschen entgegenwirken?
Oder noch grundlegender gefragt, wollen wir das überhaupt oder fühlen wir uns nicht in diesem geführten „Pups-warmen“, Gemeinschaftsbrei, der von uns allen das Gleiche verlangt, aufgehoben und von unserer Eigenverantwortung entlastet? Macht es Sinn, die Vorschrifts- und Hygiene-Diktatur, die wir aus der Tierhaltung kennen, auf den Menschen zu übertragen, obwohl wir doch dort die Erfahrung gemacht haben, dass die alleinige Beschäftigung mit Kennziffern, Vorgabekontrollen rechnerischer Art nicht zu einer Verbesserung der tierischen Lebensumstände geführt haben, sondern uns abgelenkt haben von dem, was das Wesen der Tiere an Lebensbedingungsraum braucht, damit sie ein Leben in Selbstwürde leben können, auch wenn sie uns gleichzeitig als Nahrung dienen.

Die Frage, die ich mir an diesem Punkt stelle und die ich mir erlaube auch Ihnen als Leser zu stellen, lautet:

„Wofür möchtest du leben?“

Leider können sehr viele Menschen mit einer solchen Frage gar nichts mehr anfangen. Unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben ist heute so strukturiert, dass die meisten von uns sich solch einer Frage gar nicht mehr stellen müssen und damit leicht manipulierbar werden. Dies geschieht schon allein dadurch, dass sich Prozesse von uns Menschen und unseren Bedürfnissen abgekoppelt haben und uns nicht mehr dienen, sondern zu Selbstläufern geworden sind, die aus ihrer inneren Logik des immer mehr und immer besser, immer schneller und immer effektiver und möglichst auch immer kostensparender, uns Menschen aus dem Auge verloren haben und ihrem selbsternannten Selbstzweck dienen.
Wer die von mir gestellte Frage allerdings klar für sich beantwortet im Sinne seiner Natur und seines angelegten Grundwesens unter Blick auf unsere Primärbedürfnisse, wie z.B. unsere Mitwelt intakt zu erhalten, Naturschutz, Artenschutz aktiv zu betreiben und unser Klimabewusstsein zu schärfen, um die Auswirkungen unseres Handelns besser einschätzen zu lernen und dafür Verantwortung zu übernehmen, der kann sich in diesen Systemabläufen mit ihrer selbstproduzierten und abgekoppelten Logik nicht mehr bewegen.
Wie aber nun könnte die Logik aussehen?
Das Gesellschaftsmodell heißt möglicherweise individualisierte Gemeinschaft. Eine solche Gemeinschaft lässt sich allerdings nur mit Menschen aufbauen, die wissen, wer sie sind und was sie wollen. Wenn sich solche Individuen zusammenschließen, ist die Entfaltung der in jedem Einzelnen und auch der in jeder Gemeinschaft angelegten Potentiale unvermeidbar.
Klasse wäre es, wenn sich Menschen finden würden, die zusammen arbeiten wollen, die an solchen Findungsprozesse interessiert sind, die nach gelebten Antworten suchen, die Individualität, Gemeinschaft und unsere Lebensgrundlage - die Erde auf der wir leben - miteinander in einer vereinbarten und sich weiter entwickelnden Lebensgestalt verknüpfen. Natürlich unter Einbeziehung vielerlei Perspektiven, die die Notwendigkeiten für unsere Lebensgrundlage mit implizieren.
Offenbar ist man beim Hineinwachsen in unsere Welt aufgefordert, Bedürfnisse auszublenden und zu unterdrücken. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Aufgehoben sein und sich sicher fühlen zu wollen im Vertraut gemachten oder das Bedürfnis, dieses zunächst als schützend empfundene Milieu, schrittweise in Abstimmung mit unserer Reifestufe bzw. unserer Entwicklung neugierig-zögernd dialektisch zu überwachsen hinein in mehr Autonomie..
Das Bedürfnis nach Autonomie, das Bedürfnis nach Selbstgestaltung, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit, das Bedürfnis nach Gehört werden und Verstanden werden, das Bedürfnis in der Sprache der begleitenden „Beschützer“ so vorzukommen, dass wir uns darin wiederfinden und uns erkennen und verstehen lernen und damit auch in Kontakt mit den grundlegenderen Lebensgesetze in Kontakt zu kommen und ein Gespür für sie zu entwickeln. Auch das Bedürfnis nach Bewegung und Körperlichkeit, wie auch nach Sinnlichkeit, müssen wir, wollen wir uns im vorgegebenen Rahmen bewegen, ausblenden lernen, in der bisher vorherrschenden Kultur. Das geht oft soweit, dass wir den Kontakt dazu verlieren und auch nichts mehr von den unterdrückten Bedürfnissen wissen.
Denn das Unterdrücken unserer lebendigen Bedürfnisse ist eine aktive Leistung, die dadurch gelingt, dass ich mich mit dem operativen Täter der Bedürfnisunterdrückung identifiziere und die zunächst wahrgenommenen Bedürfnisse aus meinem Bewusstsein nehme, um unausgesprochen geforderte Loyalität zu leben und mir dadurch die Verbundenheit zum Regelgeber zu erhalten. Gelingt mir dieser Schritt, habe ich selbst die Verbindung zu meinen ursprünglichen Bedürfnissen verloren.
Da das ja in dieser äußeren wie auch inneren Konfliktsituation hilfreich ist, identifiziert man sich auch mit dieser Lösung und kann nur schlecht davon abweichen, weil das nämlich die damit verbundenen existentiellen Ängste wieder wecken würde.
Gelingt es uns durch sich wiederholende einschneidende Erlebnisse wieder in Kontakt mit den unterdrückten, gehemmten, umgelenkten Bedürfnissen zu kommen, spüren wir einerseits Wärme, Mitgefühl für uns selbst und es entstehen berührende Situationen, weil in uns etwas anklingt, wozu wir lange schon keine Verbindung mehr hatten. Es keimt aber auch Angst auf, weil es schwer ist, Vorstellungen zu entwickeln und Lebensräume zu finden oder zu gestalten, in denen das auch gelebt werden darf.
Wir sind also neben dem Coronavirus SARS-CoV-2 wohl zudem mit einer ganz anderen Art Virus befallen, einem „geistigen Virus“. Ist es doch so, dass wir uns vor der Corona-Pandemie in der Hektik des Alltags mehrheitlich keine Ruhe gegönnt haben und von Ort zu Ort eilten. Wir waren von den technologischen Errungenschaften unserer Kultur in konsumtiver und einer extrem beschleunigten Lebensweise getrieben. Die industrielle Revolution 4.0 und deren ungeahnte Möglichkeiten wurden ausgerufen. Die Welt schien auf grenzenlose Weise verfügbar, zugleich war sie in der Sehnsucht nach Geborgenheit entortet und entfremdet. Und bei all dem Verlangen nach einer entschleunigten Lebensweise schauten wir uns zur vermeintlichen Entspannung die aktuellen Krimiserien an, als würde es nicht ausreichen, die kriegerischen Auseinandersetzungen zur Kenntnis zu nehmen zu müssen. Und bei den „ungebetenen“ Gästen, denen wir zusehen, wie sie dem Tod im Meer ausgeliefert sind und ihr Land wergen der verheerenden Kriege verlassen müssen, inszenieren wir ein angstdominiertes Schreckensszenario, indem wir wieder fremdenfeindliche Reflexe der Aussperrung bedienen. Sind wir Menschen gegen die Not von Flüchtlingen immun geworden? Sehen wir nicht, dass unsere Lebensweise in vielen dieser Länder auch zu klimatischen Veränderungen führen, die deren Not vergrößert und für die wir in Verantwortung stehen? Gleichzeitig bringt uns Corona wieder in Kontakt mit der Endlichkeit unseres Lebens. Und das ist mehr als wichtig, es ist not-wendig: Denn der Tod wird gesellschaftlich schon lange so gestaltet, dass jedes Aufkommen von Affekten und leiblichen Regungen möglichst vermieden wird.
Sterben und Trauer sind im öffentlichen Raum weitgehend abhandengekommen, wenn sie nicht gerade für „Menschen mit Bedeutung im öffentlichen Leben“ inszeniert werden, aber dann doch nur, damit sie in unserer Erinnerung „überleben“ und dadurch unsterblich werden.

Es ist vor allem die Angst um den Verlust der materiellen Errungenschaften, die den „homo oeconomicus“ in der Nutzenmaximierung fest im Würgegriff hat. Ist es gar der „homo consumens“, den der Psychoanalytiker Erich Fromm als ängstlichen und entfremdeten Menschen beschreibt, der hier wirkt? Konsumieren ist etwas Zweideutiges: Es vermindert die Angst, weil mir das Konsumierte nicht weggenommen werden kann, aber es zwingt mich auch, immer mehr zu konsumieren, denn das einmal Konsumierte hört bald auf, mich zu befriedigen.

Haben wir denn nicht bemerkt, wie uns die Angst leitet? - Dass sich in uns längst eine Schockstarre ausgebreitet hat, die uns lähmt und die uns gleichzeitig in eingeübten Handlungsbereitschaften und gesellschaftlich eingespieltem Kulturhandeln verharren lässt, die lange schon ausgedient haben?

Viele von uns sehnen sich nach der Stille, wollen neu anfangen, ahnen, dass wir neu anfangen müssen. Corona hat uns eine erste kleine Möglichkeit geschaffen, etwas von dieser Qualität wieder in uns hineinzulassen, mit mehr oder weniger Angst bzw. Erfüllung. Bei denen, die erfolgreich sind, hilft die Zeit der Besinnung wieder Kontakt mit ihren primären Sehnsüchten und Wünschen aufzunehmen. Sie sind nicht mehr nur von Sorge getrieben, ihre Kinder für die Wissensgesellschaft fit machen zu
müssen. Sie fangen an zu erkennen, dass das Spiel selbst, das experimentelle Ausprobieren und neugierig Erfahrung machen, die nachhaltigste Form des Lernens als Kultur schaffende Funktion von Fantasie und Kreativität darstellt. Hier wird vom Subjekt her gelebt, als auch ausprobiert - und damit auch aus Erfahrung gelernt. Es wird nicht länger mehr dem Objekt eingeflößt, was von seiner vermittelten Perspektive her längst anfängt, sich aufzubröseln.

Wir entdecken schon seit längerer Zeit existierende Methoden der Geistesschulung, z. B. die Achtsamkeit. In einer bisher noch nie praktizierten Rücksichtnahme für unsere Mitmenschen bietet uns gleichwohl die auf uns selbst gerichtete Beobachtung ungeahnte Möglichkeiten für die Erfahrung des inneren Standortes. Wir hatten uns ein inneres Trugbild geschaffen. Wir erkennen plötzlich unser bisheriges Bestreben vor anderen im besten Licht dazu zu stehen und können heute dem inneren Wachstum den Vorrang gegenüber der Verdrängung der Selbsterkenntnis in geschäftigem Alltag den Vorrang einräumen. Es entsteht Selbstmitgefühl und dadurch auch Mitgefühl für andere. Das für den inneren Fortschritt so bedeutungsvolle Selbstvertrauen erfährt auf diese Weise eine Entfaltung, die Wissensklarheit und Zufriedenheit befördert. Anstatt nach Außen alles immer größer, besser und noch effektiver und billiger zu machen, fangen wir an, zu begreifen, wieviel wichtiger es ist, nach innen zu reifen.

Die Wissenschaft erhält inzwischen die Anerkennung, die ihr gebührt, indem sie im interdisziplinären Dialog nach und nach in die politischen Entscheidungen einbezogen wird. So wird die Forschung nicht mehr abstrakt im Olymp angesiedelt, sondern sie bietet für das Verständnis der komplexen Fragen im politischen Diskurs entscheidende Impulse. Wir beginnen, Wissenschaft als einen Lernprozess zu betrachten, in dem neues Wissen generiert wird. Traditionelle Erkenntnislage ist, Wissensstände stets als korrigierbar zu definieren. In diesem Zusammenhang erinnern wir uns an den klugen Hinweis in der griechischen Philosophie, namentlich von Sokrates ausgesprochen, „ Ich weiß, dass ich nicht weiß.“, welcher schon seinerzeit grundlegende Bedeutung hatte.

Was hält nun in einer solchen Zeit Menschen gesund, ist hier die salutogenetische Frage. Salutogenetisch sind die Menschen am besten ausgestattet, die eine relativ stabile Lebensorientierung und durchtragende Zuversicht im Hinblick darauf entwickeln können, dass ihr Leben prinzipiell nachvollziehbar bzw. verstehbar, sinnstiftend und zu bewältigen ist. Sie sind getragen von der Grundüberzeugung und Zuversicht, die Anforderungen des Lebens mit den ihnen gegebenen Ressourcen zu bewältigen und zwar unter dem Zeichen von Naturschutz, Lebensschutz, Klimaschutz, also von grundlegender Achtung und Liebe für unsere Lebensgrundlage. Es ist die Verstehbarkeit, die Bewältigbarkeit und die Sicht auf den Sinn des Geschehens, die den Menschen in die Lage versetzen mag, im Kontext des Lebens trotz aller Herausforderungen stets einen kohärenten, Sicherheit bietenden Halt in sich selbst, zu finden.

Möglicherweise geht es auch für uns als gesellschaftliche Gemeinschaft darum, Globalität neu zu denken, bisherige Werte zu überprüfen und zuzulassen, dass wir alle vor diesen bevorstehenden Neuerfindungs- und Veränderungsprozessen Angst haben. Anzuerkennen, dass uns das Klima im Nacken sitzt, dass unsere Welt größer und verbundener und damit schneller und „heißer“ geworden ist und dass es eine neue Verlangsamung geben muss, die mehr Raum lässt - und die entstandenen Reibungsnähen, die dazu geführt haben, dass wir uns in einem Hamsterrad der Rituale haben gefangen nehmen lassen wieder abkühlen hilft - die wieder mehr Abstand ermöglicht, dass jeder Einzelne von uns diesen Prozess des Neuerfindens mit mehr Respekt und Achtung vor der Natur, vor dem Lebendigen, vor unserer eigenen Natur und Lebendigkeit, ergreifen und gestalten kann.

Natürlich sehnen wir uns nach einem Orchesterleiter, der uns jetzt sagt, wo es hingehen soll, der uns die Töne und die Melodiefolgen in ihrer Betonung vorgibt. Doch der Ruf nach dem Orchesterleiter verhallt, wenn alle Beteiligten bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und wenn sich alle in Abstimmung mit dem vorhandenen Wissen und dem neuen Blick auf das Wissen, gemeinsam beraten und abstimmen. Statt auf die Bekanntgabe von Entscheidungen zu warten, geht es doch um koordiniertes Lernen auf der Suche nach den effizientesten Reaktionen auf eine Herausforderung, die zum Gelingen eines förderlichen Gesamtwerkes, eben dem der Gesundheit, beitragen.

Noch eines:
Die Langeweile oder Plackerei einer sicheren, nicht stimulierenden Beschäftigung. Das Leugnen eines Problems verschlimmert ein Ergebnis. Das Vermeiden von schwierigen Dingen führt zu Abhängigkeit, Stagnation oder Selbstverlust. Machen Sie Fehler mit dem Ziel, aus ihnen zu lernen! Bemühen Sie sich, Stress zu bewältigen, anstatt ihn zu eliminieren. Minimieren Sie den Schaden, indem Sie eine Schwierigkeit zu Ihrem Vorteil wenden. Eine Herausforderung bringt den nötigen Ansporn.
Eine Herausforderung hilft Ihnen, sich der Angst zu stellen und sie zu überwinden. Die Herausforderung ist ein Segen, der Sie in gewisser Weise stärker und widerstandsfähiger machen wird. Öffnen Sie sich für das Licht der Welt, lassen Sie es in sich hineinfließen, lassen Sie sich davon bestärken und öffnen Sie es für Ihre Umgebung, lassen Sie es in ein zirkulierendes Fließen kommen, damit alle davon profitieren können. Stellen Sie sich allem, was auf Sie zukommt, und vertrauen Sie auf Ihre Fähigkeit, zu den notwendigen Veränderungen, die dem Wohle aller dienen sollen, beitragen zu können, auch durch Ihre oder gerade durch Ihre ganz persönlichen Lösungen auf die Sie kommen.
Denken Sie daran, dass innerer Druck, der sich ergibt, wenn das äußere oder das innere System in Bewegung kommt, eine wichtige Voraussetzung, ein wichtiges Element für Kreativität, Wachstum und Fülle ist!!

Je größer die Angst oder besser, die gefühlte Bedrohung, desto mehr wünschen sich viele Bürger/innen den Staat als Vormund, der neben dem, dass er die Richtung vorgibt, auch alle bestraft, die nicht folgsam sind. In der Krise, wollen viele Entschlossenheit sehen und Autorität spüren, gerne sogar Autoritäres, in der Hoffnung, dass das zu einem schnellen Ende der Krise führt. Regieren ohne Debatten im Bundestag, das kommt in solchen Zeiten gut an. Politische Kräfte, die nicht lange fackeln, Nägel mit Köpfen machen, zeigen, was jetzt Sache ist, sind bei den vielen beliebt. Vor Corona haben sich Menschen, die sich mit Video- und Kommunikationsüberwachung, mit Vorratsdatenspeicherung und Gendateien ausgesprochen haben, verdächtig gemacht, jetzt gilt er als Lebensretter, weil einem die Gefahr so nah auf den eigenen Leib gerückt ist. Mit Neid schauen heute viele auf Staaten wie China oder Südkorea, wo es mehr Disziplin, weniger Debatten und niedrigere Infektionszahlen gibt als in Europa. Da stehen die Überwachungskameras dicht an dicht, da müssen die Menschen ein iPhone/Handy tragen mit dem ihre Bewegungen staatlich nachverfolgt werden können. In China werden Menschen, die keine Maske tragen, von Überwachungsdrohnen per Lautsprecher scharf zurechtgewiesen. In Südkorea werden Kreditkartendaten nach jeder Nutzung der Karte an staatliche Stellen weitergemeldet. Solche Kontrollsysteme, erinnern an die Überwachung mit der elektronischen Fußfessel, wie wir es auch in Deutschland kennen, - allerdings beschränkt auf Verurteilte, die zuhause ihre Haftstrafe absitzen. In sehr obrigkeitsstaatlichen Systemen wird jeder Mensch zum Gefangenen der „Volksgesundheit“.
Die Risikogesellschaft sah sich auch bisher schon, also auch vor Corona, wachsenden Gefahren ausgesetzt: Organisierte Kriminalität, Wirtschaftskriminalität, Drogenkriminalität, Terrorismus, bewusst in Kauf genommene Umweltzerstörung… Diese bisherigen Unsicherheiten kulminieren nun in der Corona-Krise. Die Bedrohung ist mit Corona für jeden so spürbar, wie noch nie, bei welch auch immer bisher erfahrenen Bedrohungsszenarien.
Deshalb lässt sich beobachten, wie sonst eher kritische Bürger/innen schon abwehrend reagieren, wenn ein Skeptiker bloß zu fragen wagt, ob das angemessen sei, was Vater Staat da an Verboten, Ausgangssperren, Schul- und Betriebsschließungen, verordnet.
In Zeiten, in denen der Täter Corona heißt, gilt der Datenschutz für viele plötzlich nichts mehr. Wenn man sich auf den Begriff genauer einlässt, dann stellt man fest, er ist auch irreführend. Er klingt so, als schütze er abstrakte Daten. Er schützt aber Menschen, ihre Integrität, ihren persönlichen Raum und ihre Privatheit. Plötzlich genießt dieser Schutz nicht mehr dieselbe Achtung, wie er sie vorher hatte.
Das gesellschaftlich fokusierte Corona-Denken ist dabei, die Individualgrundrechte zu vergemeinschaften und der Volksgesundheit unterzuordnen. Die Individualrechte werden kollektiviert. Der einzelne Mensch und seine Rechte treten zurück hinter dem Großen und Ganzen, hinter kollektiven Werten.
Ein freiheitsfeindlicher Zeitgeist diskreditiert Grundrechte als Egoisten-Rechte. Das ist eindeutig nicht richtig!
Es sind schlicht Rechte, die nach unserem Grundgesetz voraussetzungslos gelten – und zwar für jeden; man kann und muss sie nicht erwerben, auch nicht durch eine Impfung. Sie gelten für Geimpfte und Ungeimpfte.
Es ist dies die Gefahr: Die Menschen gewöhnen sich daran, dass heftige Einschränkungen der Grund- und Bürgerrechte zu den Bewältigungsstrategien einer Krise gehören – und dass das Unverhältnismäßige in Krisen als verhältnismäßig gilt. Die Individualgrundrechte werden aber auf diese Weise nicht nur eingeschränkt, sie verändern komplett ihren Charakter. Sie werden gebraucht, verbraucht und vernutzt, um Kollektivgüter zu schützen. Wenn Corona durchgestanden ist, könnte sich das bei anderen Krisen und Katastrophen fortsetzen.
In 50 Jahren werden die Menschen möglicherweise mit unserer Lebenszeit die Ära verknüpfen, in der mithilfe der Digitalisierung die allgegenwärtige Überwachung durch den Staat begann. Ich finde, unsere Gesellschaft, sollte sich gegen diese mögliche Gefahr impfen. Hier gilt meiner Ansicht nach Impfpflicht!

Wir befinden uns mitten in einer Neuordnung des Sozialraums.
Die kommende Welt wird Distanz wieder schätzen – und gerade dadurch Verbundenheit qualitativer gestalten. Autonomie und Abhängigkeit, Nähe und Distanz, Öffnung und Schließung, werden neu ausbalanciert werden (müssen). Dadurch kann die Welt komplexer, zugleich aber auch stabiler werden. Diese Umformung ist weitgehend ein blinder evolutionärer Prozess – weil das eine scheitert, setzt sich das Neue, überlebensfähig durch. Das macht einen zunächst schwindelig, aber dann erweist es seinen inneren Sinn: Zukunftsfähig ist das, was die Paradoxien auf einer neuen Ebene verbindet. Ich behaupte, dass in dem, was wir als Einbruch in die uns „normal“ erscheinende Welt erleben, langfristige Entwicklungen zu Ausdruck kommen und im umfassenden Sinne neue Formen der gesellschaftlichen Interaktion und Organisation ankündigen.
Die Corona-Krise darf deshalb als umfassende Wandlungskrise der Gegenwartsgesellschaft verstanden werden und der Umbruchscharakter kommt in der Rede von den „Corona-Zeiten“ verdichtet zum Ausdruck.
In der frühen Phase des Lockdowns bestand eine bemerkenswerte Sensibilisierung für die Umstrukturierung des Sozialraums und die Folgen für die sozialen Beziehungen, die sich aus dem Gebot des Abstandhaltens und des Zuhause-Bleibens ergeben.
Die mit dem Lockdown verbundene, soziale Isolation erinnert an die von Norbert Elias beschriebene Figur des „homo clausus“ (Figurations- und Prozesssoziologie) als Resultat der Verinnerung von Fremdzwängen zu Selbsstzwängen im Prozess der Zivilisation.
Könnte das, was in der Akutsituation epidemiologisch geboten erscheint, über das Ende der Pandemie hinausgehend Folgen für die Gestaltung künftiger sozialer Interaktionen haben und sich dauerhaft in der psychischen und affektiven Struktur der Menschen niederschlagen?
Die große Frage lautet: „ Verändern die in der existenziell empfundenen Krise als direkte Antwort und Intervention eingeführten Verhaltensregulationen längerfristig die Art und Weise, wie wir einander begegnen, ohne, dass es dann gesetzlicher Verordnungen und Strafandrohung braucht, und die Art und Weise, wie wir wahrnehmen, denken und fühlen?“
Die Veränderung der Regeln zur Distanzregulierung zeichnet sich in Gestik (Ellenbogen statt Händeschütteln) und Mimik (Maske statt Ausdruck) ab und ist auch symbolisch wirksam.
Der wechselseitige Ellenbogenstoß hat paradoxer Weise eine Verringerung des Abstandes zur Voraussetzung und transportiert gegensinnig mit dem Zeichen der wechselseitigen Rücksichtnahme stärker als der Händedruck zugleich das vorhandene Aggressionspotential. In ähnlicher Weise verdeckt die Maske den Ausdruck und stimuliert parallel die Phantasien über das Verdeckte. Die Umsetzung erfordert also in besonderem Maße Ambiguitätstoleranz.

„Wie soll das denn gehen: der Mensch, der doch ein soziales Wesen ist, soll nun eben das Soziale meiden, das plötzlich existentielle Risiken für ihn bedeutet. Menschen mit Handschuhen, mit Mundschutz, besorgter Blick, ängstliche Bewegungen.“

Mit der Veränderung des Verhaltens der Einzelnen verändert sich auch ihr Verhältnis zueinander. Elias zufolge lassen sich Gesellschaften als Figurationen von Körpern beschreiben, die sich nach Regeln bewegen.
Hervorzuheben ist, dass die Körper dabei zugleich als biologische Wesen und als Kommunikationsmedien zu begreifen sind. „Just diesen Doppelcharakter machen sich Viren ja zunutze. Um sie zu bekämpfen, wird jetzt die Sozialfunktion der Körper extrem reduziert.“
Anders gesagt: Die Bewegungsregeln werden verändert, Erfahrungs- und Begegnungsräume begrenzt.
Damit steigt auch unabhängig vom Infektionsgeschehen das Risiko sozialer Distanzierung, Spaltungsprozesse sind die Folge und der über die alltägliche soziale Interaktion als selbstverständlich erlebte Unterbau der pluralistischen Demokratie wackelt. Gesellschaft ist ein körperlicher – oft stummer – Prozess.
Diese den Alltag strukturierenden Veränderungen gehen mit Verunsicherung einher, und die sich etablierenden Regeln werden selbst von politisch Verantwortlichen immer wieder übertreten.
In der derzeitigen Debatte besteht keine Einigung darüber, wie dieser soziale Prozess zu bewerten ist. Während Horx im Virus einen Evolutionsbeschleuniger sieht und die Frage aufwirft, „ob das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso ändern wollte?“, befürchten andere, eine parteiliche Zunahme sozialer Kontrolle oder gar eine Art Hygienediktatur.
Während Horx angesichts der sich ausbreitenden Krise hoffnungsvoll darauf setzt, dass mit dieser eine neue sinnstiftenden Erzählung entstehen werde, konstatierte Phil Langer zeitgleich, dass derzeit keine Orientierung in der Informationsflut möglich sei, da ein gemeinsames Narrativ fehle. Dies verweist darauf, dass die Frage, welche Deutungskonzepte sich durchsetzen nicht unabhängig von sozialer Macht, sowie unterschiedlichen Bedürfnislagen und Interessen gedacht werden kann. Knoblauch interpretiert die Corona-Krise als Konflikt zweier Raumkonfigurationen, nämlich der – derzeit typischerweise von Territorialregierungen und Experten favorisierten Container-Lösung tendenziell geschlossener Räume, die mit einem weitgehenden Verlust der Öffentlichkeit einhergehen und der eher bottom-up entwickelten Netzwerkstrukturen. (Zunächst werden abgegrenzte, detaillierte Teilprobleme gelöst, mit deren Hilfe dann größere, darüber liegende Probleme etc. Die einzelnen Teillösungen werden von „unten” nach „oben” zusammengesetzt, bis das Gesamtproblem gelöst ist.)
„Territoriale Räume folgen der Logik des Setzens und Ordnens mit klar gezogenen Grenzen und Einschränkungen der Vielfalt (nach innen). Demgegenüber folgen Netzwerkräume der Logik der Relationalisierung des Heterogenen. In Netzwerkräumen werden entfernte Elemente in Beziehung gesetzt und Unterschiede zwischen den Elementen sind die grundlegenden Merkmale.

Das Eigene und das Fremde

Das Virus ist uns fremd – und wir können nicht einmal sagen, ob es sich um „Leben“ handelt. Und doch ist es in der Lage uns zu infiltrieren – und diese mögliche Grenzüberschreitung knüpft an archaische Ängste an.
Dieses Fremde erscheint als gefährlich, es kann schwerwiegende Krankheitsverläufe hervorrufen, und weil das Virus hochansteckend ist, werden auch mögliche Überträger zur Gefahr. Damit gibt es gute Gründe, sich vor dem Anderen zu fürchten, und dieses schienen zunächst Menschen (und Tiere) aus der Fremde zu sein. Doch die Grenzschließungen schützen nicht, das Virus breitet sich aus, auch hierzulande, zunächst in sogenannten Hotspots, und mittlerweile flächendeckend. Damit kann ein jeder zum gefährlichen Anderen werden – eine Grundsituation, die Abgrenzung fördert und Misstrauen begünstigt.
Die Angst vor dem Anderen rührt nicht zuletzt daher, dass wir uns unserer Selbst nicht sicher sind. Hier lohnt sich ein Umdenken.
Reinhold Görling erinnert daran, dass auch wir Menschen schon immer in Gemeinschaft mit Viren leben und diese Interaktionen geradezu zu besseren Interaktionen mit der jeweiligen Umwelt beitragen kann.
Das Covid19-Virus ist demnach kein Außen, es ist ein anderes in uns, das uns nicht guttut, das wir uns aber auch nicht einfach gegenüberstellen können.
Wir müssen uns selbst verändern, unser soziales Verhalten, unser bewusstes Denken, aber auch das Wissen unseres Körpers.
Statt von unabhängig gedachten Organismen auszugehen, die wechselseitig füreinander lediglich Umwelt darstellen und gegen die wir uns jeweils immunisieren können, ist es sinnvoll, von einem immer schon ineinander verwobenen, emergenten Geschehen her denken zu lernen.
Wir müssen lernen mit dem Virus zu leben, statt gegen ihn zu agieren. So paradox das auch klingen mag: wir leben in Gemeinschaft mit dem Virus, wir müssen Gemeinschaften mit ihm bilden.
Wenn wir uns das Geschehen einmal so versuchen zu denken, dass es uns Hoffnung und Anstoß gibt, wie könnte sich das formulieren? „Vielleicht war der Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine Richtung in der es keine Zukunft gibt.“ Anders formuliert: Wir stehen gegenwärtig vor der Aufgabe, uns vermehrt Schutzräume vor übergriffig werdenden gesellschaftlichen Anforderungen zu schaffen, um unsere Naturbasis – die eigene wie die der uns nährenden Umwelt – zu erhalten. Insofern steht die Neuaushandlung des Verhältnisses von Nähe und Distanz auf der Tagesordnung. Sie steht dann aber nicht im Dienst sozialer Kontrolle, sondern der Stärkung von Autonomie und Partizipation. Sie orientiert sich nicht auf einen „homo clausus“ zu, sondern auf einen homo integrus, und sie ist untrennbar verbunden mit dem Abbau sozialer Distanz innerhalb der Gesellschaft und zwischen Gesellschaften.
Deshalb die ganz wichtige Frage: Wie können wir reifen statt wachsen?
Wir zerstören unsere Erde, weil wir gegenwartsversessen und zukunftsvergessen sind.

Viele Kinder und Jugendliche beginnen, uns zu durchschauen und sich gegen den Verbrennungswahn gegen unsere Pyromanie, zu wehren. Die rasche solare Energiewende ist zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Wir brauchen laut Dalai Lama eine Weltrevolution des Mitgefühls. Die letzte entscheidende Frage lautet: Wie bekommen wir den wirklichen Wandel?
Nicht mit Angst, sondern mit positiv besetzten Emotionen wie Mitgefühl und Achtsamkeit. Die Technik allein wird uns nicht retten, wir brauchen eine Spiritualität, die in Verbindung steht mit unserem Urgrund, der uns trägt, und uns dahingehend führt, dass wir diesen Urgrund und damit ja auch uns selbst schützen und wiedererstarken lassen wollen.
Wir brauchen einen Neuen Gott, der unser aller Akzeptanz findet. Denn Gott ist geistige Energie – die Sonne hinter der Sonne.

Die Klimaerhitzung ist ein Weltkrieg gegen die Natur und das betrifft alle Länder. Wir werden unterscheiden lernen müssen zwischen Kriegsflüchtlingen und Flüchtlingen, die durch den Klimawandel von uns zur Flucht gezwungen wurden. Danach gibt es kein zurück.
Mit den Urwäldern stirbt nicht nur die Idee einer beseelten Natur, in der alles mit allem zusammenhängt, sondern wir zerstören sogar unsere eigenen Lebensgrundlagen. Wir Menschen sind vom Klima abhängig und unser vernetztes Denken ruft uns in ein Verantwortungsbewusstsein für das Weltganze.
Franz Alt postuliert seit Jahren:
Klimaschutz ist möglich.
Nachhaltiges Wirtschaften ist möglich.
Gerechtigkeit ist möglich.
Frieden ist möglich.
Mitgefühl ist möglich.
Liebe ist möglich.
Eine bessere Welt ist möglich.
Menschen sind grundsätzlich in der Lage, sich zu ändern und zu wandeln. Unser Gehirn kann, so wie wir einmal Radfahren, Schwimmen oder Autofahren gelernt haben, dazu lernen.
Menschen können lernen, wenn sie nur wollen.
Unser Wille ist zwar oft blind, aber blöd ist er nicht. Wir können unseren Willen trainieren, wie einen Muskel.
Nur deshalb ist im Laufe der Geschichte scheinbar Unmögliches immer wieder möglich geworden.
Wir sollten endlich tun, was wir für richtig halten. Einfacher leben, damit andere einfach überleben.
Die Weltrevolution des Mitgefühls kann dabei eine große, vielleicht sogar die entscheidende Hilfe sein. Die Zeit scheint gerade jetzt dafür reif zu sein. Die Menschen – ob jung, ob alt, - scheinen dafür offen. Unsere Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun. Wer hindert uns daran, damit anzufangen, wenn nicht wir selber? Eine bessere Welt beginnt beim einzelnen Menschen.

Wenn wir nicht lernen, dass die Gesundheit des Waldes unsere eigene Gesundheit ist, droht die Gefahr, dass wir verschwinden.
Wir entscheiden, ob wir ressourcenschonend bauen oder ressourcenvernichtend, ob wir uns umweltbewusst fortbewegen oder klimazerstörend, ob wir uns ressourcenvernichtend ernähren oder aus biologischer Landwirtschaft, ob wir Öko-Energie nutzen oder fossil-atomare.

Ökoprozesse sind Liebesprozesse

Alles Leben ist beseelt und das Leben ist keine Maschine. Natur ist ein Raum der Verwandlung und der Begegnung, ein Seelenraum. Wir teilen den Atem des Lebens mit allen Tieren und allen Pflanzen und allen Bäumen und mit allen Menschen aller Zeiten. Grundvoraussetzung für ein freiheitlich-kreatives Leben ist, dass die Menschenrechte geachtet werden, aber auch eine intakte Natur. Die wirtschaftliche Freiheit in einer ökosozialen Marktwirtschaft hängt immer mit allen anderen Freiheiten zusammen. Es geht darum, unser Denken aus alten Strukturen zu befreien und zu transformieren. Wie werden wir Teil der Lösung?

24. Januar 2021 / Joachim Armbrust / Aktuelles Einblicke


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