Die Wichtigkeit des Zusammenspiels von "Gefühlen, Nervensystem und Hormonen" für die Psychotherapie

Autor: Joachim Armbrust

Artikel bei raum & zeit

Das Nervensystem und das Hormonsystem des Menschen sind eng miteinander gekoppelt. Sie sind miteinander in einem dialogischen Prozess, der durch dynamische Bewegung, immer wieder neu stressiert und gleichzeitig Gleichgewicht und Erfüllung bzw. Entspannung sucht. Während über das Nervensystem elektrische Impulse sehr schnell weitergeleitet werden, werden Hormone als chemische Signalstoffe im Blutgefäßsystem transportiert. In den meisten Fällen sind die Hormone für das verantwortlich, was, wie und ob wir fühlen. Fast kein Hormon ist immer in der gleichen Konzentration vorhanden und wenn es zu Hormonschwankungen kommt, dann kann das auch Auswirkungen auf unsere Stimmung bzw. unser Grundbefinden haben. Das System der Hormone sorgt nicht nur dafür, dass alle Körperfunktionen reibungslos ablaufen. Es nimmt auch massiv Einfluss auf unsere Psyche. Ob wir vor Wut fast platzen oder auf Wolke sieben schweben oder ob wir unsere Lebensfreude verlieren - Adrenalin, Oxytocin oder Serotonin steuern die Emotionen. Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol sorgen für Stress. Unser psychisches Wohlbefinden ist also eng mit dem hormonellen Profil verknüpft. Das Hormonsystem wirkt durch seine Ausschüttungen von Hormonen auf unser Nervensystem zurück. Zu Beginn dieses Jahrhunderts beobachtete der amerikanische Physiologe Walter B. Cannon, dass bei physischen oder emotionalen Reizen wie Schmerz oder Wut die Menge des Hormons Adrenalin im Blut zunimmt und daraufhin unter anderem sich der Blutzuckerspiegel erhöht und Blut aus dem Gewebe Herz, Lunge, Hirn und Muskulatur stärker versorgt: So wird der Organismus auf Kampf und Überleben bei einer vitalen Bedrohung vorbereitet. Darum sind erhöhter Blutdruck und schnellerer Puls typische Zeichen für eine stressbedingte Überaktivierung des physiologischen Systems, die der Anstieg des Adrenalinspiegels veranlasst.

Was bringt also das Hormon-System in Disharmonie?

Die Antwort ist klar und eindeutig: Stress. Stress selbst löst Hormone aus (vor allem Cortisol und Adrenalin), die wie ein Teil unserer Basishormone in den walnussgroßen Nebennieren gebildet werden. Wenn diese Nebennieren mit der Produktion der Stress-Hormone überlastet sind, dann ist keine Kapazität für ausreichende Produktion anderer Hormone mehr vorhanden. Unser ganzes Hormon-System gerät in Unordnung. Das Übermaß an Stress-Hormonen ist hauptverantwortlich für die Entgleisung unserer Hormone. Die Liste, was Stress-Hormone auslöst, ist lang und beschreibt viele der Krankheits-Ursachen in unserer hochzivilisierten Welt:

  • Stress durch Überforderung wie Unterforderung
  • Stress durch mangelnde Selbstannahme („Ich bin nicht gut genug“ usw.) bis hin zum Selbsthass
  • Stress durch Erwartungshaltungen anderer und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse, statt den eigenen Bedürfnissen, den eigenen Befindlichkeiten und den eigenen Werten, zu folgen.
  • Stress durch Anpassung an immer neue Situationen, dem Gefühl, ihnen nicht gewachsen zu sein
  • Stress durch Einsamkeit, Isolation, das Gefühl von niemandem verstanden und geliebt zu werden
  • Stress durch Befürchtungen, Ängste, durch Zukunftsschwarzmalerei
  • Einnahme von Stresshormonen durch Fleischverzehr
  • Stress durch Umweltfaktoren (Lärm, Luftverschmutzung, klimatische Extreme)
  • Stress durch partnerschaftliche und familiäre Konflikte
  • Stress durch Gefühle von Einsamkeit und sich verloren fühlen
  • Stress durch jede Art von Suchtverhalten, auch Co-Abhängigkeit, dem aufopferungsvollen Verhalten eines Suchtkranken gegenüber
  • Stress durch innere Leere, Sinnlosigkeit im Leben, fehlende erfüllende Aufgabe, spirituelle Verzweiflung.
  • Stress durch das Selbstgefühl nicht selbstwirksam sein zu können, und deshalb bei der Bewältigung von Aufgaben zu scheitern Lassen Sie uns also nicht nur von körperlichem und emotionalem Stress sprechen, sondern auch von mentalem und spirituellem Stress. Und damit schließt sich der Kreis des Dreiklangs Körper, Geist und Seele.

Wie können wir lernen, unsere Hormone selbst zu steuern?

Wir dürfen uns bewusstwerden, dass wir schon immer unsere Hormone steuern, wenn auch unbewusst. Wenn wir zu viel belastenden Stress in unserem Leben dulden, dann hat das Auswirkungen auf unsere Hormone. Dann werden sie selbst zur Last. Hormone als Last sind ein Spiegel für belastenden Stress. Hormone dienen allerdings nur gehorsam unseren „Anweisungen“. Sie können ja nicht ahnen, dass unsere Anweisungen aus unbewussten Ängsten, aus Perfektionsansprüchen, Groll oder Verzweiflung gespeist sind. Sie werten nicht und nehmen unsere Signale beim Wort. Bringen wir in diese unbewusst ablaufenden Prozesse Bewusstsein, werden wir also zum mitfühlenden Beobachter unserer Selbst, und leiten über unser mitfühlendes und liebendes Bewusstsein Tiefenatmung ein, senden wir an das limbische System und speziell an die Amygdala über Entspannung Entwarnung und Beruhigung als Wahrnehmungsqualität. Nur Mut! Kleine Veränderungen bewirken hier schon Großes. Bevor wir in unser Hormon-System direkt eingreifen, sorgen wir erst einmal dafür, dass wir die Produktion von Stress-Hormonen drastisch reduzieren. Wir haben die Autorschaft für unser Leben und können entscheiden, ob wir uns unsere Zukunft hinreichend gut oder farbig ausmalen oder eben schwarz und unheilvoll. Es gibt Momente in unserem Leben, da geht alles ganz leicht und wie von selbst, wir sind im „Flow“, so der Begriff, den der tschechische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi geprägt hat. Das bedeutet, dass verschiedene zusammenhängende Qualitäten unseres Seins im Gleichklang sind. In der modernen Forschung spricht man auch von Herzkohärenz. Es wirken zum Beispiel Gedanken, Emotionen und unser Verhalten stimmig zusammen. Oder auf der Körperebene geschieht es, dass Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem, Herz und Gehirn, kooperativ, miteinander verbunden und in harmonischer Resonanz miteinander sind und sich reibungsfrei koordinieren. Wir Menschen streben danach, uns wohl zu fühlen, leider gerne, indem wir unangenehme Gefühle versuchen zu vermeiden oder sie schnellstmöglich loswerden wollen. Die scheinbar effektivste Strategie sie loszuwerden, besteht darin, sie zu verdrängen. Da Emotionen aber Lebensenergieträger sind, stellen wir mit den Emotionen, die wir nicht fühlen wollen, auch unsere Lebensenergie vor die Türe. Es entsteht ein unbewusster, innerer Kampf:
Was zu uns gehört, kämpft darum, bei uns einen Platz zurückzuerobern. Weil wir diesen Teil aber ausblenden wollen, wenden wir viel Kraft auf, um ihn aus unserem Bewusstsein fernzuhalten. So haben wir einen beständigen Energiefresser in unserem System. Unangenehme Gefühle weisen uns auf verletzte oder übergangene Bedürfnisse hin und können uns eigentlich hilfreich dabei sein, zu entdecken, welches Bedürfnis wir eigentlich gehabt hätten, um es sodann als Wunsch mitzuteilen. Wissen wir genauer, was uns stört, können wir es auch ändern. Da aber länger anhaltende emotionale Reaktionen sich selbst verstärken, führt dies zu antrainierten festen Reaktionsmustern in uns, die uns nicht bewusst sind und sich nicht mehr ganz so leicht auflösen lassen.
Gleichzeitig beeinflussen diese immer wiederkehrenden Reaktionsmustern unsere Wahrnehmung, unsere Gedanken und unsere Emotionen und bilden eine Art selbstverständlicher „Wirklichkeit“. Wir haben also eine unbewusste Unfähigkeit entwickelt, ohne es zu wissen. Damit können wir aber auch nichts an ihr ändern, wir haben keinen handelnden Zugriff darauf, weil nicht mehr bewusst. Sobald sie jedoch aus ihrer unbewussten Unfähigkeit eine bewusste Unfähigkeit machen, indem sie ihre Gefühle aus der Vergangenheit, die Ihr aktuelles Verhalten und Ihre momentanen
Gefühle beeinflussen, bewusst machen, könnten Sie das automatisierte Reaktionsmuster wieder verflüssigen und durch ein neues Verhalten und damit auch durch andere Gefühlserlebnisse zu ersetzen. Emotionen und damit verbundene Gedanken lösen eine Kaskade von physiologischen Prozessen im Körper aus: Der Muskeltonus steigt, wir erröten, wir schwitzen, Herzfrequenz und Atemrhythmus verändern sich. Das heißt, sie erregen das Nervensystem und als Folge auch das Immunsystem, in hartnäckigeren Situationen wird dann auch das Immunsystem in Mitleidenschaft gezogen. Wir können den Prozess umdrehen: Wir können lernen, auf negativ besetzte Reize mit neuen, positiveren Reaktionsmustern zu reagieren. Gelingt es uns, dies öfter zu wiederholen, etablieren wir neue Gefühle, neue Reaktionen, neue Befindlichkeiten, neue Umgangsformen, die die Art unserer Hormonausschüttung verändert.

Das Feld, auf dem sich unsere Emotionen austragen, ist der Körper. Unser emotionales Gehirn, also das sogenannte limbische System ist unserem Körper viel näher, als dem Gehirn, in dem unser Verstand sitzt. Unsere Emotionen werden über zwei wichtige Körpersysteme in den Körper transportiert: das autonome Nervensystem (ANS), auch vegetatives Nervensystem genannt und das Hormonsystem. Das autonome Nervensystem ist der Teil unseres Nervensystems, der ohne unser bewusstes Zutun, 24 Stunden am Tag, nahezu sämtliche Prozesse in unserem Körper reguliert und so unser Überleben sichert. Es besteht aus zwei Linien: Sympathikus und Parasympathikus. Während der Sympathikus grob gesagt für Aktivität zuständig ist, und auch bei Stress die Kampf- oder Fluchtreaktion steuert, hat der Parasympathikus die Aufgabe, für Erholung zu sorgen und neue Energie verfügbar zu machen. Der Parasympathikus reguliert deshalb auch unsere Verdauung. Das Hormonsystem produziert je nach emotionaler Lage unterschiedliche Hormone. Die wichtigsten Stress-hormone sind Adrenalin und Cortisol. Wenn wir uns wohl fühlen, wenn es uns gut geht, werden vermehrt das Sexualhormon Dehydroepiandrosteron (DHEA) und Oxytocin ausgeschüttet. Die Stresshormone Adrenalin und Cortisol sind für unser Überleben zwingend notwendig. Dauerhaft zu viel davon in unserem Blutkreislauf schadet jedoch langfristig unserer Gesundheit. DHEA und Oxytocin hingegen fördern unsere Gesundheit. Als Glückshormone werden umgangssprachlich Hormone oder Neurotransmitter bezeichnet, die Wohlbefinden oder Glücksgefühle hervorrufen können. Die bekanntesten sind Dopamin, Serotonin und Endorphin. Weitere heißen Noradrenalin, Phenethylamin und Oxytocin. Die bekanntesten Hormone, die der Körper bei Stress freisetzt, sind Noradrenalin, Adrenalin und Cortisol. Noradrenalin und Adrenalin gehören zum sog. sympathoadrenomedullären System. Dieses System aktiviert sich sofort, wenn der Mensch einem Stressfaktor ausgesetzt ist.

Es gibt also genügend Anhaltspunkte dafür, dass emotionale Zustände und die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen Auswirkungen auf den Hormonhaushalt haben. Wache, mitfühlende Präsenz und das innere Halten eines unterstützenden Raumes wirken sich wiederum positiv auf das emotionale Wohlbefinden aus und beeinflussen somit indirekt den Hormonhaushalt. Unsere Fähigkeit, in einem Zustand von innerer Balance und Flow zu bleiben, wird bestimmt von unserer Fähigkeit, unsere eigenen Emotionen zu regulieren und Energieabfluss zu beenden. In einem Zustand von Kohärenz sind Herz, Geist, Emotionen und Körper in harmonischer Ordnung und im Gleichklang. Es geht darum, die innere Haltung zu den Stressquellen und unsere innere Interpretation zu ändern, destruktive Reaktionsmuster zu durchbrechen und bewusst zu wählen, wie wir auf eine stressauslösende Situation reagieren. Dabei kann die Atmung auf den Herzrhythmus Einfluss nehmen. Atmung und Herzrhythmus sind eng miteinander verbunden. Bei der Einatmung steigt die Herzfrequenz, bei der Ausatmung sinkt sie wieder. Aus der Forschung wissen wir, dass unangenehme Emotionen wie Frust und Ärger zu einem inkohärenten oder gar chaotischen Muster im Herzrhythmus führen. Durch die enge Verbindung zwischen Herz und Gehirn schränkt Inkohärenz die
Fähigkeit des Gehirns ein, Informationen zu verarbeiten. Wir können uns aber auch die Herz-Gehirn-Kommunikation zu Nutze machen und kohärente, sowie harmonische Signale vom Herz aus zum Gehirn senden. Hier beispielhaft eine Möglichkeit, die über den Atem führt: Stellen Sie sich vor, Sie atmen über das Herz ein und aus. Atmen sie verbrauchte Energie aus, atmen sie frische Energie ein; atmen sie Anspannung aus und atmen sie Leichtigkeit ein; atmen sie Sorge und Angst aus und atmen sie Vertrauen und Dankbarkeit ein; atmen sie Mitgefühl aus und atmen sie Selbstmitgefühl ein. Stellen Sie sich vor, wie über das Ein- & Ausatmen, ihr Organismus, ihr Körper mehr und mehr sich mit Licht und Liebe füllt. Diese Übung macht zweierlei: Sie öffnet unser System für das Außen und löst somit die Einkapselung auf, die bei Stress immer eintritt (Tunnelblick).
Durch die positiven Impulse und die Atmung beruhigt und entspannt sie unser System und lässt positive Bilder aufsteigen, die die Zukunft wieder als erstrebenswert und uns rufend erstrahlen lassen. Bindung, Selbstkontakt sowie Sicherheitserleben sind zentrale Grundvoraussetzungen, um den Herausforderungen des Lebens auf gesunde Art und Weise zu begegnen. Bindungsbasierte Körperpsychotherapie ist ein kompliziertes Wort, aber im Grunde basiert sie auf genau diesen, wesentlichen Prinzipien:

  • Verbindung zu uns Selbst und Anderen schafft Sicherheit.
  • Sicherheit erzeugt Entspannung, Klarheit und Selbstregulation auf körperlicher und emotionaler Ebene.
    Bindungsfähigkeit und die annehmende, liebevolle Selbstbeziehung zum eigenen Körper stärken also Ihre Widerstandsfähigkeit. Körperliche und emotionale Gesundheit in herausfordernden Lebenssituationen aufrechterhalten zu können, wird auch Resilienz genannt.

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22. Juni 2024 / Joachim Armbrust / Aktuelles / Allgemein / Artikel / Einblicke