Psychotherapie und Achtsamkeit

Beim Ringen um Veränderung stehen wir oft an dem Punkt, dass wir das Problem mit dem Verstand durchaus gut erkennen, aber die Lösungsversuche funktionieren nicht. An dieser Stelle hilft uns innere Achtsamkeit, eine Form der Aufmerksamkeit, die sich in den meditativen Disziplinen schon seit Jahrtausenden bewährt hat.

Die langsame Schulung der inneren Achtsamkeit baut eine immer stabiler werdende Bewusstseinsposition auf, die uns mehr und mehr erlaubt, die Bestandteile und die Gestaltung des inneren Erlebens zu erforschen.

Zunächst bekommen wir ein besseres Gespür und Gefühl für die Fragen unseres Lebens, und schließlich können wir zu den Grundlagen unserer Selbstorganisation Zugang finden, dem „roten Faden“, der sich oft wie in einem Webmuster durch viele Bereiche unseres Lebens zieht. Die nicht-bewussten automatischen Steuerungsfaktoren werden allmählich ins Bewusstsein gehoben und durch eine immer umfassender werdenden „Selbstführung“ organisiert. Letztlich führt der Weg der Achtsamkeit zu den Kräften der Selbstheilung und der inneren Weisheit.

Wahrnehmen, fühlen, denken, handeln
Im Zentrum von Bewegung, Sozialerfahrung, Körpererfahrung, Gefühlen, Sprache bzw. Sprechen und Kognition steht die Wahrnehmung. Alles ist nichts ohne Wahrnehmung und Achtsamkeit. Unsere Wahrnehmung ist es, die uns hilft, Schöpfer unserer Gedanken zu sein und damit Schöpfer unseres künftigen Seins.

Achtsamkeit, wache Aufmerksamkeit, annehmen, was ist, wahrnehmen, was ist, Konzentration, wertfreie Wahrnehmungsschulung, nachspüren, zulassen, be-greifen, die Wirklichkeit anerkennen, auf die Wahrheit hören, in die Stille lauschen, das Unhörbare hören, das kaum Vernehmbare erkennen, verstehen, einwilligen, zustimmen, ja sagen zur eigenen Existenz.

Wirklichkeit, ist das, was wirkt. Das Eigentliche sichtbar machen, zum Ursprung hinfinden, sich im eigenen Wesen erkennen, sich dem eigenen Wesenskern annähern, den Keim hegen und pflegen, aus der Quelle schöpfen, innere Kräfte wecken, sich der eigenen Person annehmen und sie zum Klingen/Tönen bringen, Durchdringung des Seinszustandes.

In dem Maße, wie wir die Verbindung zu unserem Wesensgrund und der Lebenskraft verlieren, fühlen wir eine Leere in uns, eine Einsamkeit, einen Mangel. Wenn es uns gelingt, uns diesen Gefühlen zu stellen, geschieht dadurch paradoxer Weise eine Öffnung.

Es ist nicht leicht in Zeiten innerer Verwirrung die widerstrebenden Gefühle festzuhalten und anzunehmen und darauf zu vertrauen, dass die innere Wahrheit uns führt und uns von der noch nicht gelebten Zukunft her wieder ein Fenster in der Gegenwärtigkeit öffnet.
Aber genau diese innere Wahrheit führt uns, wenn wir nicht versuchen unseren Prozess abzukürzen oder zu umgehen, dann meldet sich eine Gewissheit tief aus unserem Inneren.
Zur Findung von Gewissheit brauchen wir aber auch die Unterstützung und Spiegelung durch andere Menschen auf unserer Reise zur Heilung und Bewusstwerdung.

Jede/r von uns trägt eine Art Lebensweisheit in sich, es liegt an uns, uns mit ihr zu verbinden. Wenn wir auf unsere Intuition hören und ihr vertrauen, wird sie uns leiten. Nur durch innere Wandlung wandelt sich das Außen, auch wenn es noch so langsam nachfolgt. Ist die innere Mitte stark und geordnet, so bleibt es nicht aus, dass das Wirrsal der Peripherie sich allmählich klärt und sich wie von selbst ordnet um die Klarheit der inneren Mitte. Achtsamkeit ist der Schlüssel, der das noch Verborgene öffnet.

Aus meiner Sicht wird die Qualität der Selbstorganisation eines Menschen durch den Fluss von Informationen bestimmt. Wie verschiedene Anteile einer Person zusammenarbeiten, hängt davon ab, was sie voneinander und über die Außenwelt wissen. Interne Modelle der Wirklichkeit eröffnen und begrenzen die Verhaltens- und Erlebnismöglichkeiten. Worte kennzeichnen und bewegen dabei die symbolischen Ebenen, auf denen diese Art von Informationen gespeichert und verändert werden kann. Worte sind auch eine wichtige Art, wie Eltern mit dem inneren Erleben ihrer Kinder in Verbindung bleiben können und so Sorge tragen, dass sich Begleiter und Begleiteter nicht in verschiedenen Welten befinden, sondern wirklich sich zusammen bewegen.

"Die Möglichkeitsgrenzen des Dialogischen sind die des Innewerdens."
Es verlangt Mut, weil wir für alles offenbleiben müssen, was sich in der Begegnung entwickelt. Das ist Gehen auf einem "schmalen Grat". Möglichkeiten durch bereits vorab festgelegte Kategorien auszuschließen, heißt einen bedeutungsvollen Dialog abzuwürgen. Es verlangt Mut, unzählige Spannungen in enger und fruchtbarer Beziehung zueinander zu halten, ohne ihren vollen Entwicklungsprozess abzubrechen und ohne ihn voraus zu wissen…

Offen bleiben für die Entfaltung dessen, was ist oder was werden will. Dem Sein zu vertrauen, dem unbekannten ins Gesicht schauen. Gleichzeitige Verbundenheit und Getrenntheit, verharren indem was war und gleichzeitig gerufen werden in das, was noch nicht ist. Im Spannungsfeld dieser Kräfte mitfühlend und vertrauensvoll Raum halten lernen, für das was werden will.

14. April 2025 / Joachim Armbrust / Aktuelles / Psychotherapie